Erstmals wurde ein wissenschaftliches Buch komplett in Leichte Sprache übersetzt. Die Herausgeberin Prof. Simone Seitz von der Uni Bremen erzählt, wie es entstanden ist und wer davon profitiert, ein Fachbuch über Inklusion ohne schwierige Satzkonstruktionen und Fremdwörter lesen zu können.
Gerade ist der Tagungsband "Ist Inklusion gerecht? Inklusions-Forschung in Leichter Sprache" erschienen. Wie kam es dazu?
In schwieriger Sprache gab es das Buch schon vorher, es heißt "Inklusiv gleich gerecht? Inklusion und Bildungsgerechtigkeit" und ist 2012 im Klinkhardt Verlag erschienen. 50 Autorinnen und Autoren haben darin aktuelle Forschungsergebnisse rund um die 25. Jahrestagung der Integrations- und Inklusionsforschung zusammengefasst. Auf dieser Tagung ging es darum, wie im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention ein diskriminierungsfreier Zugang zu Bildung erreicht werden kann. Auf der jährlich stattfindenden Tagung stellen wir uns auch immer wieder die Frage, wie und ob die Adressaten inklusiver Bildung, also die "Beforschten", beteiligt werden können - auch benachteiligte Menschen oder Menschen mit einer Behinderung. Der Forscherverbund wurde vor 27 Jahren gegründet und hat den Anspruch, im Sinne der Adressaten zu forschen. Mit der Übersetzung des Tagungsbands in Leichte Sprache wollten wir einen Schritt gehen in Richtung Beteiligung und Transparenz. Eine andere Möglichkeit wäre gewesen, in dem "schwierigen" Band kurze Zusammenfassungen der Beiträge in Leichter Sprache zu den Artikeln zu stellen. Es ist aber unwahrscheinlich, dass sich Menschen, die gerne Leichte Sprache lesen oder hierauf angewiesen sind, ein Buch in schwieriger Sprache kaufen, nur um die Zusammenfassungen zu lesen. Deshalb haben wir erstmals das ganze Buch übersetzt.
Wie übersetzt man schwierige, wissenschaftliche Sprache in Leichte Sprache?
Das war ein langwieriger Prozess, der mir persönlich aber sehr viel Spaß gemacht hat. Wir haben daran in einem Lehr- und Forschungsprojekt gearbeitet und Experten für Leichte Sprache von der Lebenshilfe für die Mitarbeit gewinnen können. Zunächst hatten die Autoren den Text ja in schwieriger Sprache geschrieben. Dann wurden sie gebeten, selbst einen ersten Entwurf in Leichter Sprache zu schreiben. Außerdem wirkten Studenten, die zuvor von uns und von Experten der Lebenshilfe in Leichter Sprache gecoacht worden waren, an der Bearbeitung mit. Die Texte gingen durch sehr viele Hände, und ganz zum Schluss hat eine Expertin noch einmal alle Texte redigiert. Ich fand es besonders spannend, wie mich das Schreiben in Leichter Sprache dazu herausfordert hat, mir bei jedem Text die Frage zu stellen: Was ist die Essenz des Textes? Wie kann man die zentrale Aussage in klaren Worten ausdrücken und dabei zugleich die Komplexität der Zusammenhänge bewahren? Das hat mich selbst noch einmal ganz neu nachdenken lassen über den Gehalt der Beiträge.
Wer ist eigentlich die genaue Zielgruppe?
Das Buch richtet sich nicht nur an Menschen mit Lernschwierigkeiten, sondern auch an andere Menschen, die wissenschaftliche Texte ansonsten eher nicht rezipieren. Meine Eltern zum Beispiel, die ansonsten meine Schriften nicht alle lesen, sagten spontan: "Das lesen wir jetzt einmal." So möchten wir im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention auch zur Bewusstseinsbildung in breiteren Kreisen der Bevölkerung beitragen, denn inklusive Praxis betrifft ja nicht nur Fachleute für Erziehung und Bildung, sondern alle.
Wird es in Zukunft weitere Übersetzungsprojekte geben?
Das ist nicht ausgeschlossen! Ich hoffe, dass es nicht nur möglich sein wird, weitere Forschungsarbeiten der Inklusionsforschung zu übersetzen, sondern dass das Projekt auch beispielgebend ist, um wissenschaftliche Erkenntnisse aus anderen Fachgebieten in Leichte Sprache zu übersetzen.
Linktipps:
"Ist Inklusion gerecht? Inklusions-Forschung in Leichter Sprache" - das Buch wird herausgegeben von Simone Seitz, Lisa Pfahl, Nina Finnern und Katja Scheidt und ist 2013 im Lebenshilfe-Verlag Marburg erschienen
Infos zu Professorin Simone Seitz und das Arbeitsgebiet "Inklusive Pädagogik, Geistige Entwicklung" an der Uni Bremen
Mehr Leichte Sprache! Ein Blogbeitrag von Stefanie Wulff über die Ausbildung von Prüfern für Texte in Leichter Sprache - mit einer Übersetzung in Leichter Sprache
Freude am Lesen vermitteln. Ein Blogbeitrag von Eva Keller über Lesekreise und -klubs für Leichte Sprache
"Politik geht uns alle etwas an". Ein Blogbeitrag von Katja Hanke über einen Film in Leichter Sprache zur Bundestagswahl 2013
(Autor: Stefanie Wulff)