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"Ich zeige genau die Inklusion, von der alle sprechen."

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Fotos von Frauen aus dem Projekt anderSTARK in der Hamburger Ausstellung

Das Fotoprojekt "anderStark", in dem Frauen mit einer Muskelerkrankung im Mittelpunkt stehen, will das Denken der Gesellschaft verändern. Ängste, Unsicherheiten und Hemmschwellen sollen abgebaut werden.

12. Juli, Kolbenhof in Hamburg. An den Wänden der KurzFilm Agentur, die in den ehemaligen Fabrikhallen in der Friedensallee 128 ein Domizil gefunden hat, hängen zahlreiche Fotos von Frauen in unterschiedlichen Lebenssituationen und Stimmungslagen. Dass diese Frauen mit einer Muskelerkrankung leben, wird nicht in jedem Fall sofort sichtbar. Sichtbar wird aber, wie die Frauen damit umgehen. Dass sie leben und Spaß haben wollen. Dass sie begehrt sein wollen. Sie geben dem Betrachter einen Einblick in ihr Leben und in ihre Gefühle.
Nach zweieinhalb Jahren kreativer Arbeit lädt anderSTARK an diesem Abend zur Vernissage ein. Viele Besucher sind in den Kolbenhof gekommen, um über das außergewöhnliche Fotoprojekt miteinander ins Gespräch zu kommen. Zu einem besonderen Highlight gestaltet sich zu später Stunde eine Modenschau. Als wäre es eine ganz normale Sache, laufen und rollen Models mit und ohne Behinderung den Laufsteg entlang und präsentieren die neuste Mode von Jungdesignern aus Hamburg. Dabei geht es nicht um Konkurrenz. Es sollen, bei aller Individualität, die Gemeinsamkeiten aufgezeigt werden - auf den Fotos und auf dem Laufsteg. Es soll bewusst gemacht werden: Wir haben alle die gleichen Sehnsüchte und Träume.

Am Rande der Vernissage spricht Anastasia Umrik, die Initiatorin von anderSTARK, über ihre Motive, ihre Emotionen und darüber, was sich für sie durch das Projekt verändert hat:


Anastasia, kannst Du ein paar Worte dazu sagen, wie Du auf die Idee zu anderSTARK gekommen bist?
Die Idee dazu hatte ich schon ewig. Ich wollte irgendetwas machen. Ich habe viele Ideen, aber ich bin auch eine Macherin. Das sind Grundeigenschaften von mir. Und so habe ich überlegt, was ich machen könnte. Ich habe mich irgendwann intensiv mit der Frage beschäftigt: Wer bin ich? Ich habe mich damit auseinandergesetzt: Wo stehe ich in dieser Gesellschaft? Werde ich überhaupt beachtet? Und welche Fragen stellt man mir, wenn ich einmal gehe? Und dann habe ich angefangen, darüber zu sprechen.

Ist Deine Wahrnehmung durch die Ausstellung eine andere geworden?
Heute bin ich 26, und da ändert sich noch einmal vieles. Mit Anfang 20 oder sogar in der Pubertät ist man sehr unsicher, und man versucht, durch alle Möglichkeiten Bestätigung zu bekommen. Aber man bekommt sie einfach nicht. Man ist immer nur die Rollstuhlfahrerin oder die Behinderte. Das kratzt schon sehr am Ego. Heute sehe ich das nicht mehr so eng.

Durch die Ausstellung oder weil Du älter geworden bist?
Vielleicht beides. Das ist wohl eine Mischung. Ich weiß es nicht. Ich kann es nicht sagen, weil ich ja älter geworden bin (lacht).

Hast Du die Beachtung gefunden, nach der Du gesucht hast?
Ja! Mehr als ich erwartet habe. Und auch mehr, als ich gehofft habe. Ich bin total glücklich darüber, wie sowohl Behinderte als auch Nichtbehinderte darauf reagieren. Die Leute finden das so gut. Das bestätigt mich in meiner Arbeit. Ein besseres Kompliment kann mir nicht passieren.

Wie siehst Du Dich heute als Frau mit Behinderung in dieser Gesellschaft, und wie siehst Du die Stellung der Frau mit Behinderung überhaupt?
Ich denke, es ist nach wie vor nicht einfach, eine Position als Frau allgemein und dann noch als Frau mit Behinderung zu finden, sowohl auf dem Arbeitsmarkt, aber auch in einer Partnerschaft und in der Familie. Als behinderte Frau hat man einerseits die gleichen Erwartungen wie eine nichtbehinderte Frau auch. Gleichzeitig muss man sich aber mit den Vorurteilen, die jeder behinderte Mensch kennt, auseinandersetzen: Man wird unterschätzt. Man erwartet nicht von mir, dass zu meiner Vernissage 400 Menschen kommen. Man erwartet nicht von mir, dass ich als Managerin in einem Großunternehmen arbeite. Eine Managerin bin ich jetzt ja auch nicht. Aber es ist sehr schade, dass so etwas nicht selbstverständlich ist.

Wie empfindest Du den heutigen Abend?
Ich bin sehr, sehr glücklich. Ich bin überwältigt. Ich habe es gehofft, aber nicht erwartet, dass so viele Leute kommen, dass es eine so große Resonanz - nicht nur von behinderten, auch von nichtbehinderten Menschen - gibt. Wirklich von allen. Das ist genau die Inklusion, von der alle sprechen. Und ich zeige sie heute Abend. Die Menschen sind von überall her gekommen, aus ganz Deutschland, aus Luxemburg, Wien. Manche haben ihren Urlaub verschoben, um hier zu sein. Ich bin wirklich nach zwei Jahren Arbeit voller Leidenschaft und viel Stress sehr stolz.

Wie ist es Dir gelungen, auch so viele Leute ohne Behinderung hierher zu holen?
Die sind von alleine gekommen. Ich habe niemanden überredet oder explizit eingeladen. Das sind Freunde von mir, Bekannte, aber auch viele Nichtbekannte, die ich nicht kenne, aber die meinen Namen kennen. Das ist schön. Aber ich hoffe, dass es damit nicht vorbei ist. Ich würde mir wünschen, dass es mehr solche Projekte gibt. Nicht von mir, sondern von anderen. Dass andere den Mut finden, Dinge endlich offen anzusprechen und zu machen.

Was sind Deine nächsten Pläne?
Erst einmal ausschlafen und dann mit voller Energie weitermachen. Ich würde gern anderSTARK in jeder Stadt hängen sehen. Aber ich weiß noch nicht, wo und wie das gelingen kann, weil wir dafür immer sehr viel Geld brauchen. Aber ich bin so weit gekommen, es wird nicht scheitern.


Linktipps:
Das Fotoprojekt anderSTARK
Stärke braucht keine Muskeln. Ein Blogbeitrag von Anastasia Umrik über das Fotoprojekt anderSTARK, das Frauen mit Muskelerkrankung in den Mittelpunkt stellt
"Alle sind stolz darauf". Ein Blogbeitrag von Katja Hanke über Menschen mit Behinderung als Fotomodelle

Anastasia Umrik 

(Autor: Margit Glasow)


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