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Mit dem richtigen Gespür für Schnee

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Zwei Skifahrer fahren hintereinander einen Hang hinunter.

Zuerst ist da das ungläubige Staunen, dann folgen Anerkennung und aufrichtiger Respekt – wenn der blinde Paul Intveen elegant die Piste herunterwedelt. Im Interview erzählen er und sein Begleitläufer Rolf Kroseberg, wie sie als Team noch jeden Hang bezwungen haben.

Aktion Mensch: Herr Intveen, Herr Kroseberg, wo erreichen wir Sie gerade?

Rolf Kroseberg: Wir sind in Maria Alm im Salzburger Land. Der Ort liegt auf 800 Metern und wir haben hier ein paar wunderschöne Skigebiete vor Tür.

Aktion Mensch: Sie, Herr Intveen, sind blind. Rolf Kroseberg ist ihr Begleitläufer. Wie funktioniert ein solches Team?

Paul Intveen: Eigentlich ist es ganz einfach. Der Begleiter fährt mit einem Abstand von wenigen Metern voraus und gibt über ein Mikro und einen Lautsprecher auf dem Rücken Kommandos: „Geht“ bedeutet „weiter so“. „Hop“ kündigt einen Richtungswechsel an und bei „halt“ sollte man stoppen. Auf diese Weise wird eine akustische Spur gelegt, die für die nötige Orientierung sorgt.

Aktion Mensch: Was ist das für ein Gefühl, wenn Sie auf den Brettern stehen, Herr Intveen?

Paul Intveen: Für jemanden, der blind oder stark sehbehindert ist, ist das Skifahren emotional eine absolute Ausnahmesituation. Als ich noch sehen konnte, bin ich Rennrad gefahren. Tempo und Freiheit waren mir immer wichtig. Es gibt aber keine Sportart, bei der man sich so frei fühlt wie beim Skifahren. Das schnelle Reagieren, die Kräfte, die da wirken – das ist etwas ganz Besonderes. Wenn ich das spüre, springt mir fast das Herz aus der Brust, ein großartiges Gefühl! Freudentränen oder laute Juchzer auf der Piste sind nie ausgeschlossen. Das sind ganz intensive Momente, die man da zusammen mit seinem Begleiter erlebt.

Rolf Kroseberg: Und das macht für mich natürlich auch die Motivation beim Begleitlaufen aus: diese außergewöhnliche Momente und dass da jemand ist, der dir voll und ganz vertraut.

Aktion Mensch: Seit wann sind Sie beide ein Team?

Paul Intveen: Wir fahren seit vier Jahren immer mal wieder gemeinsam. Aber ich bin auch regelmäßig mit meiner Frau unterwegs, die übrigens ihre Begleitläufer-Ausbildung bei Rolf gemacht hat.

Rolf Kroseberg: Genau. So haben wir uns ja auch kennengelernt. Ich selber habe die Begleitläufer-Ausbildung vor Jahren in Österreich absolviert. Seit acht Jahren biete ich selbst solche Lehrgänge über unseren Heimatverein an, dem TSV Kareth-Lappersdorf, nahe Regensburg. Inzwischen haben wir genügend Engagierte, um alle interessierten blinde Skiläufer bei unseren etwa 15 Skiausfahrten pro Jahr begleiten zu können.  Kost, Logis und Lift der Begleiter übernimmt dann der Verein, die Zeit muss jeder selbst mitbringen. Zwei meiner Kinder fahren inzwischen auch als Begleitläufer mit. Das alles wäre allerdings kaum ohne meine Frau möglich, die viel im Hintergrund organisiert und mich in den Wintermonaten tatsächlich selten zu sehen bekommt…

Aktion Mensch: Was muss man mitbringen, wenn man Begleitläufer werden will?

Rolf Kroseberg: Man sollte natürlich sicher Ski fahren können, darüber hinaus ist uns vor allem die Motivation wichtig. Zu unseren Lehrgängen kommen übrigens Fahrer aus ganz Deutschland. Meist sind das Eltern, Geschwister und Freunde von blinden Skibegeisterten, aber auch Skilehrer oder Schullehrer. Gerne würden wir noch weitere Vereine und Gruppen für den alpinen Blindenskilauf begeistern – da ist in Deutschland noch eine ganze Menge Luft nach oben!

Aktion Mensch: Wie kann man sich das gemeinsame Après-Ski vorstellen?

Paul Intveen: Das Beste an den Abenden im Hotel ist, dass einen hier niemand bemuttert. Ob blind, sehbehindert oder nicht-blind – das ist hier komplett egal. Man ist einfach Paul oder Rolf, und wenn Paul bei irgendetwas Unterstützung braucht, fragt er eben. Für mich ist die Welt genauso groß wie für jeden anderen. Nur dass ich hin und wieder jemanden mit einer Taschenlampe brauche.

Aktion Mensch: Wird aus dem gemeinsamen Skifahren auch so etwas wie Freundschaft?

Rolf Kroseberg: Wenn man so viel Zeit miteinander verbringt, redet man automatische irgendwann auch über persönliche Dinge. Man erfährt, wo dem anderen der Schuh drückt. Und wenn ich mal im Rheinland bin, dann schaue ich auch bei Paul vorbei.

Paul Intveen: Es baut sich tatsächlich eine vertraute freundschaftliche Bindung auf, und es ist großartig, wie sich Rolfs komplette Familie für die Sache engagiert.

Aktion Mensch: Morgen ist der Lehrgang vorbei – was steht als Nächstes auf dem Programm?

Paul Intveen: Ich steige in den Zug nach Köln. Montag sitze ich dann am Schreibtisch und bin wieder Banker.

Rolf Kroseberg: Ich mache nur einen kurzen Zwischenstopp Zuhause. Dann geht es weiter zu einem Skiwochenende nach Ratschings…

Zum Internetangebot des TSV Kareth-Lappersdorf

(Henrik Flor)


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