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Schulleiter diskutieren Inklusion

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Schultafel mit der Aufschrift "Schule"

Auf dem Deutschen Schulleiterkongress in Düsseldorf haben sich vom 7. bis 9. März rund 2000 Schulleiter getroffen, um mit Referenten und untereinander Ideen und Erfahrungen zu aktuellen Themen der Bildungspolitik auszutauschen - auch zu Inklusion.

Beim Blick ins Programm bleibe ich an einem Vortragsthema hängen: "Inklusion, Schulleitung und Recht: Rolle des Schulleiters - Ansprüche der Eltern." Sehr interessant. Ob da jemand Argumentationshilfen für Schulleiter liefert, die inklusionsbegeisterte Eltern von behinderten Kindern abwimmeln möchten? Schließlich ist des einen Freud des anderen Leid. Genauer gesagt: Während die einen die Idee der Inklusion als Chance auf Teilhabe sehen oder die Aussicht auf Vielfalt an der Schule gutheißen, bedeutet Inklusion für die anderen (hier so manche Lehrer und Schulleiter) vor allem eines: noch mehr Arbeit und nur Komplikationen. Wäre also nicht verwunderlich, wenn die sich vom Referenten - Ministerialrat Dr. Wolfgang Bott aus dem hessischen Kultusministerium - juristisch-rhetorische Rückendeckung erhoffen.

Geld als Totschlag-Argument?

Da passt es, dass Bott seinen Vortrag mit Artikel 4 der UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderung (BRK) beginnt. Dieser Artikel zu den "Allgemeinen Verpflichtungen" nämlich stellt die Inklusion unter einen Haushaltsvorbehalt, Zitat: "Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich unter Ausschöpfung seiner verfügbaren Mittel (...) Maßnahmen zu treffen (...) um nach und nach die volle Verwirklichung dieser Rechte zu erreichen." Das liebe Geld also, ein beliebtes Totschlag-Argument für Ideen und Reformen ...
Aber damit nicht genug: Die Rechtsprechung in mehreren Bundesländern zeigt sich komplett unbeeindruckt von dem in Artikel 24 BRK formulierten Recht auf gleichberechtigte Teilhabe an Bildung. "Keine hinreichende inhaltliche Bestimmtheit", lautet die lapidare Feststellung diverser Richter. Und wo es keine Verbindlichkeit gibt, lassen sich auch keine konkreten Ansprüche ableiten. Ach ja, und dann sind da noch die "schutzwürdigen Belange Dritter". Das heißt: Wenn Eltern das Wohl ihres Kindes durch einen Mitschüler mit Behinderung gefährdet sehen, haben dieser und die Inklusion schlechte Karten.

Kann ein Menschenrecht verlorengehen?

Genügend Munition also gegen Inklusionseiferer, die Bott hier liefert (wenngleich ich fairerweise sagen muss, dass das nicht seine Absicht war, sondern dass er nur einen Beitrag zur Entideologisierung der Debatte leisten wollte). Allerdings: Die Zuhörer - zumindest jene, die sich zu Wort melden - haben sich offenbar eher Argumente pro Inklusion gewünscht. Weil hier das Schulamt den Wunsch von Eltern und Grundschule, ein Kind mit Behinderung aufzunehmen, blockiert. Weil dort der Sozialleistungsträger Therapeuten-Stunden für I-Kinder streicht, jetzt wo sie an einer Regelschulen sind. Weil ein Gymnasium für einen Schüler mit Tourette-Syndrom keinen Sonderpädagogen zugewiesen bekommen - denn das geht bei der Behörde nicht als Behinderung durch.
Und ich (als Nicht-Schulleiterin) bin irritiert: Habe ich nicht immer wieder die Parole gehört und gelesen: "Inklusion ist Menschenrecht!" Kann ein Menschenrecht auf dem Weg in die Bundesländer durch die Ratifizierung etwa verloren gehen? Und können Politiker einfach sagen: "Tut uns leid, für die Umsetzung dieses Menschenrechtes haben wir im Haushalt kein Geld mehr übrig?"

Die Sicht der Kommunen

Ernüchtert, aber keineswegs überzeugt verlasse ich den Raum und beschließe beim Kaffee im Mittagspausengewimmel, anschließend den Vortrag "Inklusion in Schulen: Umsetzung und Finanzierung aus kommunaler Sicht" zu besuchen, konsequenterweise. Es spricht: Klaus Hebborn vom Deutschen Städtetag - und zwar ohne lange Umschweife und als hätte er es geahnt: über den Haushaltsvorbehalt! Aber Achtung, Hebborn sieht die Dinge anders: "Der Vorbehalt in den Schulgesetzen, dass gemeinsamer Unterricht nur stattfinden kann, sofern Schulträger und Land zustimmen und sofern die Schule sachlich und personell dafür ausgestattet ist, ist nach der BRK nicht mehr zulässig." Schließlich ist die BRK nicht irgendein kleiner Erlass - sondern ein völkerrechtlich verbindliches Dokument.
Der Deutsche Städtetag versucht sich deshalb nicht in Wortklaubereien, sondern befürwortet die BRK - auch wenn er bei mancher Kommune noch Überzeugungsarbeit leisten muss, wie Hebborn gesteht. Was aber allen Kommunen gegen den Strich geht, ist, dass die Länder sich aus der Verantwortung stehlen wollen. Nordrhein-Westfalen und Bayern zum Beispiel: Die argumentieren, dass inklusive Beschulung ja nichts Neues wäre für die Schulen im Land - und dass das Land deshalb für die Umsetzung der Inklusion auch nicht mehr Geld zuschießen müsse. Würden die Länder nämlich zugeben, dass Inklusion eine neue oder erweiterte Aufgaben der Kommunen ist, müssten sie dafür einen finanziellen Ausgleich zahlen - das verlangt das "Konnexitätsprinzip".

Dankbare Zuhörer

Perfide Länder-Logik! Denn natürlich kostet Inklusion (zunächst mal) mehr Geld, wenn man an den inklusiven Unterricht an Regelschulen in einer Qualität und Professionalität wie an den Förderschulen anbieten möchte. Da braucht es - neben mehr Lehrern, die die Länder stellen müssten - auch barrierefreie Räume, besonders Lehr- und Lernmittel, einen Schülertransport sowie Integrationshelfer, Sonderpädagogen und Psychologen. Alles Kosten, die von den Kommunen gestemmt werden. Der Deutsche Städtetag will sich das nicht gefallen lassen - und spricht/streitet mit den Ländern.

Die Zuhörer waren ihm - dem Städtetag und dem Beigeordneten Hebborn - dafür sehr dankbar. Weil wir nicht länger Zeit vergeuden sollten mit der Diskussion um Sinn und Unsinn der BRK - sondern endlich über das "Wie" der Umsetzung reden sollten. Dafür gab es auf dem Deutschen Schulleiterkongress übrigens auch einige gute Beispiel - aus Finnland, Frankreich und aus Deutschland.


Mehr zum Thema:
Der Deutsche Schulleiterkongress vom 7. bis 9. März 2013 in Düsseldorf
Das Handlungsfeld "In der Schule" der Aktion Mensch
"Schule für alle gestalten": Das Praxisheft der Aktion Mensch für Lehrerinnen und Lehrer (PDF-Dokument)
Mehr Infos zum Thema Schule beim Familienratgeber
Inklusion - ein Lehrstück. Ein Blogbeitrag von Raúl Krauthausen mit persönlichen Erfahrungen und Überlegungen zur schulischen Inklusion
Wie kann eine "Schule für alle" wirklich funktionieren? Ein Blogbeitrag von Margit Glasow über persönliche Erfahrungen mit dem Schulsystem und ein Praxishandbuch zur inklusiven Schule

(Autor: Eva Keller)


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