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"O la la" in Heidelberg

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Profilaufnahme von Olga Hertle.

Mit ihrem Slam"Taubsein ist Luxus" war Olga Hertle, 27, eine von zwei Gewinnern beim inklusiven Poetry Slam BÄÄM! in Heidelberg. Ihre Geschichte hatte "Olala" schon lange im Kopf. Gehörlosigkeit kann auch von Vorteil sein, lautet die selbstbewusste Botschaft der Kinder- und Familienpädagogin mit Hörbehinderung.

So viel ist nach Olalas Slam klar: Taubsein ist auch Luxus! Etwa, wenn man im Zug sitzt und seine Ruhe haben will. Das lebt sie. Das strahlt sie aus. Olga Hertle hat nichts Verhuschtes an sich. Die gebürtige Ukrainerin ist mit vier Jahren nach Deutschland gekommen, lebt heute in Heidelberg und arbeitet in Heilbronn. In einer Familie von Hörenden aufgewachsen, ist sie lautsprachlich erzogen worden, liest von den Lippen ab, schaut dem Gegenüber ins Gesicht.

Auf dem Gehörlosenportal taubenschlag.de hatte sie sich das Programm der Kulturtage der Gehörlosen in Erfurt angesehen und war dort auf den Film "Deaf Jam" gestoßen. Während der Gehörlosentage sprach sie Wolf Hogekamp an, alter Hase der Poetry-Slam-Szene und einer der beiden Workshopleiter von BÄÄM in Heidelberg. Sie fühlte vorsichtig vor. Was er denn zu ihrem Gedicht meine? Ob sie es wagen könne ... "Auf jeden Fall", meinte Hogekamp. Und obwohl Olga, die von sich selbst behauptet, sie sei eigentlich nicht der Typ, der gern im Mittelpunkt stehe, noch immer Zweifel hatte, dachte sie "Egal, ich versuch's jetzt einfach!" Während des Workshops, als die Grundlagen erklärt wurden, merkte sie dann: "Ja, das interessiert mich richtig!" Der Rest war üben, üben, üben. Und trotz Aufregung lief es dann. Ihren Slam hatte sie schon zwei Jahre zuvor aufgeschrieben. "Da gab es eine Phase, in der ich in der Gesellschaft sehr viele Barrieren erlebt und oft Hemmungen gespürt habe, negative Eindrücke erlebt, dass ich bemitleidet wurde, als gehörlose Frau." Dabei hatte Sie selbst nie das Gefühl, sie sei benachteiligt und müsse bemitleidet werden. "Eigentlich habe ich ein sehr positives Selbstwertgefühl", gebärdet sie nachdenklich. So entstand damals die Idee zu ihrem Slam: In Gebärdensprachpoesie darzustellen, was für sie eigentlich Taubsein bedeutet. Umso besser, dass beim Slam-Wettbewerb auch Hörende im Publikum waren. An sie richtet sich ja die Botschaft ihrer Geschichte.

Ihr Studium in Köln hat sie seit eineinhalb Jahren abgeschlossen. Der Kölner Stadtanzeiger und FAZ Campus berichteten unter dem Motto "Studieren mit Behinderung" beeindruckt über sie und ihre Schwerhörigkeit im Studium. Heute arbeitet Olga als Kinder- und Familienpädagogin an der Lindenparkschule Heilbronn (Schule für u.a. Hörbehinderte Kinder) Ihr Schwerpunkt: gebärdensprachliche Förderung. Daneben betreut sie Angebote für Familien - zum Beispiel gibt es einen CODA-Treff * ("Children of Deaf Adults"), eine gehörlose Eltern-Kind-Gruppe. Wird es auf der Arbeit zu stressig, geht sie joggen. Oder bastelt. Filzen heißt die Technik, die sie gerade gelernt hat. "Neulich habe ich für mein Notebook eine Tasche aus Filz gebastelt. Das ist eine meiner Leidenschaften. So entspanne ich mich im Alltag."

Mit ihren Hörgeräten kann sie zum Teil Musik hören, nimmt sie aber auch visuell wahr. Da ist Rosa Lee Timm - eine gehörlose Künstlerin, die auch Schauspielerin und Darstellerin ist. Mit den Hörgeräten lauscht sie außerdem den Klängen von Lizz Wright - den Jazztönen einer Rosa Lee Timmanischen Jazzmusikerin. Rosa Lee Timm sei ganz klar ein Vorbild. "Als Person finde ich sie toll, weil sie eben sehr selbstbewusst in der Gebärdensprachpoesie auftritt und ihr Stil gefällt mir auch gut. Sie ist eine tolle Frau!"

Zwischen Hörenden und Gehörlosen

In der Gehörlosenszene ist Olga gut vernetzt. Die meisten ihrer Freunde sind - noch aus Schulzeiten - gehörlos. Später, auf der Uni kamen ein paar hörende Freunde hinzu, aber um ein tiefer gehendes Gespräch zu führen, sei es nun mal wichtig, dass der andere gebärdensprachkompetent ist. Mittlerweile sind ihre Freunde deutschlandweit verteilt. In Hamburg wie in Berlin. Ob es eine Kluft gebe zwischen der Welt der Hörenden und den Gehörlosen? Ja, sie erinnere sich an ein blödes Erlebnis. Da habe sie am Bahnhof gestanden und ein Mann habe sie angesprochen. "Ich hab ihm dann signalisiert, dass ich ihn nicht verstanden habe, dass er es bitte noch mal wiederholen soll. Und dann hat er versucht mit mir englisch zu sprechen. Dann hab ich signalisiert, ich kann deutsch, aber ich bin eben taub und deshalb hab ich Schwierigkeiten, und dann hat sich der Mann einfach umgedreht und ist gegangen." Keine Entschuldigung, nichts. In Kanada während eines dreimonatigen Praktikums habe sie das anders erlebt. Man gehe aufeinander zu, und wenn es nicht direkt klappe, suche man halt nach alternativen Wegen, zu kommunizieren. Mit Stift und Papier etwa.

"Ich denke in Deutschland ist die Entwicklung noch nicht so weit. Da muss sich noch etwas ändern, damit es sich besser entwickeln kann." Was genau muss sich ändern? Die Gesellschaft, das Denken der Leute? Olga denkt nach, runzelt die Stirn: "Also ich merke oft: Es fehlt an den Regelschulen einfach an Aufklärung in Bezug auf blinde oder gehörlose Kinder. Da passiert einfach noch zu wenig. Da wird sogar noch mit einem Fingeralphabet gebärdet. Das hat aber eigentlich mit unserer Gehörlosensprache nichts zu tun. Es mangelt einfach an Informationen. Es ist schlicht noch kein Thema in unserer Gesellschaft und wird noch tabuisiert." Vor allem gibt es viel zu wenige Dolmetscher für das alltäglichen Leben, zum Beispiel für Kulturangebote. "Wenn ich jetzt ins Kino gehe oder ein einen VHS-Kurs oder Vorträge besuchen will, dann kann ich das nicht, weil es eben keinen Kostenträger für den Dolmetscher gibt. Das heißt: Ich muss den Dolmetscher privat bezahlen. Das ist immer so teuer, dass ich auf das Angebot verzichten muss."

Wie sieht die Zukunft aus. Träume, Pläne, Visionen? "Mein Traum war es schon, während des Studiums in einem Familienzentrum zu arbeiten - mit Gehörlosen zusammen." Und: "Dass gehörlose Eltern auch Kulturangebote nutzen können, weil gehörlose Eltern bisher die normalen Kurse und Vorträge der Volkshochschule kaum nutzen können. Und was würde sie in New York machen, falls sie das Finale beim Deaf Slam in Hamburg gewinnt? Da muss sie nicht lange nachdenken: "Ich würde gern zur Uni Gallaudet in Washington gehen. Das ist eine Universität für Gehörlose. Die einzige Universität, in der auch in Gebärdensprache gelehrt wird." Und natürlich in die Deaf Slam-Szene eintauchen. "Das fände ich spannend, das zu erleben."

Das Porträt von Vadim Eichwald, zweiter Sieger des Deaf Slams in Heidelberg, erscheint am Dienstag, 5. Februar.

Lust mitzumachen? Einfach bei Deaf Slam online mitmachen und sein Video hochladen.

(Autor: Anina Valle Thiele)


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