Stephanie Bergmann (26) hat selbst gemalte Bilder an den Wänden hängen und neue lila Vorhänge vor den Fenstern. Claudia Janotte (22) sammelt kleine Engel und Delphine aus Keramik und Porzellan, die sie auf zwei kleinen Regalen präsentiert. Thomas Wolf (29) hat sämtliche Fußballer vom FC Bayern persönlich getroffen; die Fotos von den Begegnungen hängen über seinem Bett. Und bei Daniel Straße (32) liegt eine BRAVO auf dem Tisch und stapelweise Kuscheltiere sowie Donald-Duck-Taschenbücher.
Seit Sommer letzten Jahres wohnen in dem großen, gelben Haus im Südosten von Leipzig 13 Erwachsene mit zum Teil schwerer und mehrfacher Behinderung zusammen. Auf drei Etagen und insgesamt 520 Quadratmetern Wohnfläche haben sie eigene und großzügig geschnittene Zimmer bezogen, mit viel Raum für den persönlichen Rückzug. Auch an die gemeinsamen Aktivitäten wurde gedacht: Die Privaträume werden durch zwei geräumige Gemeinschaftsküchen ergänzt, in denen gemeinsam gekocht und gegessen, und manchmal auch gespielt oder einfach nur miteinander gesprochen wird.
Daniel Straße verweist auf die Arbeitspläne an den Küchentüren, in die sich alle für bestimmte Aufgaben eintragen müssen. "Es gibt Tischdienst, Geschirrspüler ein- und ausräumen, kehren, Post holen, Abfall rausbringen, Abwasch der Brotdosen. Das funktioniert eigentlich ganz gut."
Hilfe vom Familienentlastenden Dienst
Renate Wolf ist die Mutter von Thomas. Sie und ihr Mann haben schon seit fünf Jahren Kontakt zu dem Verein. In den Räumen des Familienentlastenden Dienst hat ihr Sohn bereits Probe gewohnt, als sie als Paar einmal Urlaub machten. Thomas fühlte sich hier von Anfang an wohl. Er sagt, dass es hier fast nichts gibt, was ihm nicht gefällt. "Nur manchmal habe ich ein bisschen Heimweh."
"Für mich ist es ein beruhigendes Gefühl und eine große Entlastung, dass Thomas jetzt hier in so einer warmen Atmosphäre wohnen kann", so Renate Wolf. "Ich hatte anfangs große Sorgen, weil er so an der Familie hängt. Aber es klappt alles sehr gut. Und an den Wochenenden kommt er uns ja regelmäßig besuchen."
Beim Einräumen und Einrichten des Hauses haben sie sich alle untereinander geholfen. Sich unterstützt und Mut gemacht, als sich der Einzug aufgrund von Bauverzögerungen verschob. Allen Anforderungen eines barrierearmen Wohnens zu genügen - das war die Herausforderung beim Umbau des ehemaligen Verwaltungsgebäudes. Die Elterninitiative Hilfe für Behinderte und ihre Angehörigen Leipzig und Leipzig Land e.V. hatte das 3 800 Quadratmeter große Grundstück im Jahr 2011 von der Stadt Leipzig gekauft. Bis heute kümmert sie der Verein aber auch um die Organisation der individuellen und hauswirtschaftlichen Assistenz der Bewohner.
Eigenständigkeit fördern
Ein Leben in weitgehender Selbstständigkeit zu ermöglichen, ist das große Ziel des Projekts. Dazu gehört auch, einer geregelten Arbeit nachzugehen. Claudia Janotte zum Beispiel arbeitet zurzeit in einer Näherei. Jetzt sitzt sie mit den anderen am großen Tisch der ersten Etage und erzählt. "Ich fühle mich hier richtig wohl. Ich finde es toll, dass man hier mit solchen zusammen ist, die auch so sind wie ich." Und Margit Arasch ergänzt: "Als Mutter von Dirk beruhigt es mich zu sehen, dass mein Kind hier gut aufgehoben ist. Auch dann, wenn ich selbst mal nicht mehr kann. Ich habe hier alle ins Herz geschlossen."
In den alten Gewächshäusern der ehemaligen Gärtnerei soll vielleicht schon im nächsten Jahr ein Tagestreff entstehen, in dem insbesondere ältere Menschen mit und ohne Behinderung zusammenkommen können. Die Elterninitiative hat dem gesamten Projekt den Namen "Hofgemeinschaft Mahleiche" gegeben: "Eine Mahleiche, altdeutsch ein Grenzpfahl, ein Symbol Grenzen zu achten, und die Eiche als ein in früheren Zeiten beständiger Ort des sozialen Zusammenfindens", so Kerstin Keller, die Geschäftsführerin der Initiative. Diese Symbolik soll alle Projektbeteiligten und Menschen begleiten auf dem Weg in eine wahrhaftig inklusive Gesellschaft.
Die Aktion Mensch hat das Wohnprojekt mit 110 000 Euro gefördert.
Mehr Informationen zum barrierefreienWG - Wohnprojekt in Leipzig.
(Autor: Sibylle Kölmel)