Vom Blick in den Spiegel morgens bis zum Wiedersehen der Freunde am Abend – andere Menschen sehen ihre Welt in erster Linie, und damit unterscheidet sich diese von meiner. Meine Welt ist vor allem Sprache. Sprache, die mir Räume und aktuelle Gegebenheiten erschließt. Als barrierefreie Kommunikation kann die Sprache digital, in Braille oder menschlich sein. In jedem Fall ist Sprache die Brücke zur Welt und ermöglicht mir erst meine Bewegungsfreiheit.
Mit Kommunikationstechnik Barrieren überwinden
Im Alltag muss ich mich oft erinnern: Wenn mein Schlüssel zum Beispiel morgens nicht am gewohnten Platz liegt, dauert die Suche bei mir ein bisschen länger. Wenn ich deswegen meinen Bus verpasse, kann ich die Wartezeit heute produktiv nutzen, etwa um eine Besprechung vorzubereiten. Dafür brauche ich nur mein Smartphone und einen Knochenschallkopfhörer. Die Sprachausgabe liest mir die relevanten Dokumente vor, während ich dank der freien Ohren meine Umgebung nach wie vor wahrnehmen kann. Auch Zugverspätungen und kurzfristige Gleiswechsel für Züge bekomme ich mit, seit das mobile Internet auch für mich wahrnehmbar gemacht wurde. Bevor es zum Beispiel den Verspätungsalarm der Deutschen Bahn gab, ist sowas meistens an mir vorbeigegangen. Neben einem großen Erinnerungsvermögen braucht es im blinden Alltag ein hohes Maß an strukturiertem Denken und Planungsfähigkeit. Dies alles hilft aber nicht, wenn die Welt einmal wieder größer ist als man selbst und sich das Leben spontan und wechselhaft zeigt. Genau hier ist die barrierefreie Kommunikation eine Brücke der Selbstbestimmung, es geht auch ohne fremde Hilfe für mich weiter. Ein gutes Gefühl und in der heutigen Zeit unverzichtbar.
Barrierefreiheit ist sehr individuell
Selbstbestimmung ist im Büro genauso wichtig. Meine Mitarbeiterinnen haben sich daran gewöhnt, dass ich mit Kopfhörern am PC arbeite, der Screenreader mir den Bildschirminhalt ausliest und ich Texte in mein Handy diktiere. Dabei bin ich eben so schnell wie die sehenden Kollegen, denn der Rechner ist mit individuell für mich angepasster Software ausgestattet. Kontakte, aktuellste Dokumentenversionen und unterschiedliche Programme sowie Textbausteine kann ich durch wenige Tastenkombinationen zusammenfügen und bearbeiten. Barrierefreiheit ist für mich sehr individuell und immer auch Selbstmanagement, das mir wirklich Spaß macht, wenn ich eine neue praktische Tastenkombination entdeckt habe.
Reden ist Gold
Barrierefreie Kommunikation ist aber nicht nur Technologie. Für uns Blinde gilt: Reden ist Gold, sonst wäre es noch schwerer, sich in der Welt zu orientieren. Technik ist wichtig, Kommunikation mit Menschen aber immer barrierefreier. Also, liebe Bahnfahrer, Passanten an Kreuzungen und Einkäufer in Supermärkten: Die meisten blinden und sehbehinderten Menschen sind sehr dankbar für eure Hilfe – eine kurze Ansprache und schon sind wir im Gespräch.
Barrierefreie Kommunikation ist der Schlüssel
Besonders gelungen ist barrierefreie Kommunikation immer dann, wenn sich Menschen und Technik verbinden. So bei der AppBe my Eyes, mein universeller 24 Stunden-Alltagshelfer. Über Video-Chat leihen mir Sehende auf der ganzen Welt ihre Augen und so werden Aufschriften auf Verpackungen oder Hausnummern sichtbar.
Egal, ob mir in meinem Alltag Apps wie Fußgänger-Navigationen, Geldscheinleser, Farberkenner oder Barcode-Reader helfen, oder ob durch Brailleschrift oder erhabene Beschriftungen oder Tastpläne Gebäude, Aufzüge und ganze Fußgängerzonen zugänglich werden, ob Leitsysteme und Blindenampeln den Verkehrsraum für mich erschließen: Immer ist die barrierefreie Kommunikation der Schlüssel. Es geht um das Ermöglichen von barrierefreier Kommunikation und um Informationen, die meine Welt erweitern und mir vieles von dem möglich machen, was vor 20 Jahren noch nicht möglich war.
Dabei gibt es immer noch zahlreiche Barrieren bei Dingen, die für Sehende selbstverständlich sind: Bankautomaten, auch von Blinden finanzierte öffentlich-rechtliche Medien, unzählbare Internetseiten öffentlicher Dienstleister sowie Universitätsbibliotheken sind Beispiele. Dabei gibt es hier bereits barrierefreie Lösungen für Kommunikations- und Informationsgestaltung. Warum setzen wir diese nicht einfach um?
Barrierefreiheit auch für Kommunikation denken
Mir geht es vor allem darum, Lösungen für Kommunikationsbarrieren aufzuzeigen. Denn nur so können auch immer mehr blinde, sehbehinderte und andere Menschen mit kommunikativen Einschränkungen sprachfähig werden – man denke an die Leichte Sprache oder die Gebärdensprache. Menschen mit Behinderung sind eine sehr heterogene Gruppe mit vielen unterschiedlichen Bedürfnissen. Barrierefreiheit ist viel mehr als Rampen und Toiletten. Fangen wir doch an, Barrierefreiheit auch für Kommunikation und Information zu denken.
Linktipps:
Jede neue Idee kann uns näher bringen: Im Video "Die neue Nähe" wird die App „Be My Eyes“ gezeigt
(Michael Wahl)