Etwas düster hier, denke ich, als ich die Ausstellungsräume der Bundeskunsthalle in Bonn betrete, in der noch bis zum 21. Februar die Ausstellung „Japans Liebe zum Impressionismus“ gezeigt wird. An diesem Samstag bin ich mutmaßlich die einzige Besucherin, die das wegen ihrer Nachtblindheit so empfindet, denn die vielen anderen Gäste bewegen sich wie Fische im Wasser. Gut, dass die Kunstvermittler Uschi Baetz und Sebastian Schaaps mich durch die Ausstellung führen werden. „ArtTalk Inklusiv“ heißt das Angebot des Museums, das anlässlich der Impressionisten-Ausstellung ins Leben gerufen wurde und bei späteren Ausstellungen fortgeführt werden soll. An mehreren Terminen im Monat können Menschen mit und ohne Behinderung an dieser besonderen Führung teilnehmen und miteinander ins Gespräch kommen. Es geht darum, Kunstwerke auch anders als mit den Augen wahrzunehmen, doch Zielgruppe sind nicht nur Blinde und Sehbehinderte. Auch Menschen mit Sprachbehinderungen oder solche, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, sind beispielsweise angesprochen – und natürlich Menschen ohne Handicap. „Wir möchten die Besucher dafür sensibilisieren, wie Menschen mit Beeinträchtigungen Dinge wahrnehmen und zum Beispiel einen Museumsbesuch erleben können“, erklärt Sebastian Schaaps.
Die Führung richtet sich nach den Wünschen der Besucher
Heute ist die Führung weniger inklusiv, vielmehr exklusiv: Ich bin die Einzige, die teilnimmt. „Der Zulauf ist unterschiedlich“, sagt Uschi Baetz. „Mal kommen Gruppen, mal Einzelpersonen – und wenn niemand kommt, gehen wir durch die Ausstellung, sprechen die Leute an, beantworten Fragen oder zeigen den Besuchern die Hör- und Taststationen.“ Noch nie sei es vorgekommen, dass die beiden in den drei Stunden, die die Veranstaltung dauert, nur geschwiegen hätten. Was die Länge der Führung und Erläuterungen betrifft, richten sich die Vermittler nach den Wünschen der Teilnehmer.
Nun aber auf zur Kunst! Im ersten Raum sind japanische Holzschnitte aus dem 19. Jahrhundert zu sehen. Sie gelangten auf verschiedenen Wegen nach Europa und beeinflussten die Impressionisten: Diese wählten nun für ihre Bilder auch kleine Ausschnitte statt einer totalen Ansicht, wie es damals üblich war. Weil ich schlecht sehen kann, darf ich nah an die Bilder herantreten, und wie schön: Kein Aufpasser pfeift mich zurück. Später sehen wir in einem anderen Raum einen japanischen Holzschnitt, der nur den Bug eines Bootes mit einer Frau zeigt: Monet, der japanische Holzschnitte sammelte, griff das Motiv in einem Gemälde auf, das an der gegenüberliegenden Wand hängt.
Ein Bild zu erfühlen, ist ganz schön schwierig
In einem weiteren Saal sind Bilder von Camille Pissarro, Alfred Sisley und Édouard Manet zu sehen. Alle Werke sind Leihgaben aus japanischen Sammlungen. Anhand einer Winterlandschaft von Pissarro erläutern Baetz und Schaaps die impressionistische Malweise, die zu ihrer Zeit, im ausgehenden 19. Jahrhundert, auf Widerstand stieß. Wer unscharf sieht, darf das bei den Impressionisten getrost auf deren Strichführung, die verschwimmenden Konturen, das flirrende Spiel von Licht und Schatten schieben. Wir kommen zur ersten „Hörbar“ – zwei Bänke, getrennt durch ein Mittelstück, in dem Lautsprecher und Kopfhörer untergebracht sind. Hier können sich die Besucher japanische Naturgedichte oder Erklärungen zu Werken, Motiven und zur Raumkonzeption anhören.
Was vor allem Blinde begeistert, sind die beiden Tastbars, sagt Sebastian Schaaps. Hier können reliefartige Bilder ertastet werden, die teils Motive aus den Werken der Ausstellung, teils frei entworfende japanische Motive darstellen. Die Künstlerin Susanne Ristow hat sie gestaltet. Und den Besuchern eine schwierige Aufgabe gegeben. Denn obwohl ich sehbehindert bin, gehört Tasten nicht zu meinen Gepflogenheiten: Nur mühsam erkenne ich die Motive mit den Fingern. Wenn einer den Anfang macht, trauen sich auch andere: Schon sind vier Besucher dabei, die Bilder ebenfalls zu erfühlen. Das ist ganz im Sinne der Kunstvermittler, die in dem Konzept einen „Mehrwert für alle“ sehen.
Wir verlassen die Ausstellungsräume – ich habe interessante Einblicke erhalten und würde gerne länger verweilen, wenn meine Füße nicht allmählich weh täten. Und ich freue mich, nach dem Gang durch die etwas düsteren Räume in das lichtdurchflutete Foyer zurückzukehren.
Die nächsten Termine für den Art Talk Inklusiv:
- Samstag, 13. Februar, 14 bis 17 Uhr
- Mittwoch, 17. Februar, 17 bis 20 Uhr
Eine Anmeldung ist möglich, aber nicht zwingend erforderlich. Beratung: Birgit Tellmann, Bundeskunsthalle, Tel. 0228 9171-291
Linktipps:
„ArtTalk Inklusiv“ in der Bundeskunsthalle Bonn
(Ute Stephanie Mansion)