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Liebenswert, selbstbestimmt und ein bisschen bekloppt

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Annette, Phlip und Marion liegen sich lachend in den Armen.

Netti, Marion und Philip leben zusammen in einer Wohngemeinschaft in Düsseldorf. Alle drei sitzen im Rollstuhl. Sie sind eine ganz normale WG mit Partys, Kochabenden und Aufräum-Problemen.

Im Wohnzimmer der WG hängt ein Bild in einem weißen Bilderrahmen an der Wand. Es ist das Selfie von gestern Abend, auf dem drei grinsende Gesichter zusehen sind. Philip ist in der Mitte, links und rechts im Arm hält er „seine beiden Mädels“: Netti und Marion. „Gestern hatten wir mal wieder einfach Spaß“, lacht Marion. Philip und Netti fangen an zu kichern. Jeder Besucher merkt nach kurzer Zeit, dass die Drei sich kennen und sich einfach gut verstehen. Er erkennt es daran, wie die drei miteinander umgehen, sich anschauen und Witze übereinander machen.

Viele gemeinsame Erlebnisse

„Ich bin der Neue“, sagt Philip lachend. Er ist „erst“ vor drei Jahren in die Wohnung gezogen, Netti und Marion leben schon seit neun Jahren unter einem Dach. In den Jahren haben sie schon viel erlebt, deshalb können die Drei stundenlang von ihren verrückten Geschichten erzählen. Zum Beispiel als sie abends nach ein paar Bier zu viel die E-Rollstühle nicht mehr richtig steuern konnten und von ihren Assistenten nach Hause geschoben werden mussten. Oder von Flirts, die mit spontanen Helfern bei der waghalsigen Nutzung einer Rolltreppe entstehen können: „Das ist gar nicht so einfach, du hast nur ein paar Minuten, um die Telefonnummer zu bekommen“.

Wie in vielen WGs ist auch bei den Dreien die Küche ein wichtiger Ort. Wenn Netti kocht, dann kocht sie mit „Feuerwerk“, weil es so spritzt, und wenn Philip den Kochlöffel schwingt, dann schmeckt zwar das Essen, aber mit dem Aufräumen hat er es nicht so. „Und Philip, darf man nicht zum Einkaufen schicken“, sagt Marion, „Er sollte letztens Mehl und Apfelmus kaufen und kam mit einer Ananas zurück.“ Immerhin hat Philip zur Wiedergutmachung aus den Äpfeln aus dem Vorratsschrank selbstgemachtes Apfelmus gezaubert. Es ist eine ganz normale WG, vielleicht mit der Ausnahme, dass eine 24-Stunden-Assistenz vor Ort ist.

Danke für die „Kopfnüsse“

Gerade für Netti hat diese Wohngemeinschaft nicht nur in Bezug auf Freundschaft und eigenständiges Wohnen viel gebracht. Sie traut sich trotz ihrer Sprachbehinderung jetzt viel mehr zu sprechen und übt immer deutlicher zu formulieren. Ihre Mitbewohner verstehen sie eigentlich immer, helfen ihr beim Sprechen mit anderen und geben ihr wenn nötig auch mal sogenannte „Kopfnüsse“. Eine „Kopfnuss“ nennt es Netti, wenn ihre Mitbewohner und Betreuer sie auch mal auf etwas harschere Weise ermuntern zu sprechen, obwohl sie gerade Angst hat, nicht verstanden zu werden. Auch im Lesen und Schreiben wird sie immer besser. Jetzt schreibt sie regelmäßig Mails und hat bei Facebook ein eigenes Profil.

Blog, Tanz und Kunst

Abends zusammen Raclette machen, ins Kino gehen (auch wenn Netti fast immer während des Films einschläft) oder eine Party schmeißen – Netti, Marion und Philip lieben gemeinsame Unternehmungen. Aber natürlich hat jeder auch eigene Interessen und Hobbies. Philip schreibt zum Beispiel einen Blog „RolliNavi“, in dem er über Barrierefreiheit und Hindernisse in verschiedenen Städten Deutschlands berichtet. Zur Recherche ist er oft unterwegs. Marion tanzt mit Leidenschaft in einer inklusiven Tanzgruppe. Eine Karriere als Tänzerin wäre ein Traum. Netti liebt es nachts, wenn die anderen schlafen, in ihrem Atelier im Keller bei lauter Musik zu malen. Sie drückt durch ihre Bilder ihre Gefühle aus und sie hat auch schon einige ihrer Werke verkauft.

Wer möchte einziehen?

Jetzt wird ein viertes Mitglied für die barrierefreie Wohngemeinschaft gesucht, denn die vorherige Bewohnerin ist in eine eigene Wohnung gezogen. Die Wohnung der WG wird von den ISB ambulante Dienste gGmbH gestellt, deshalb muss der neue Mitbewohner jemand mit einer Behinderung sein. Wichtiger ist aber etwas anderes: „Der oder die Neue muss auf jeden Fall genauso bekloppt sein wie wir“, meint Marion.

Bewerben könnt ihr euch unter der Mailadresse: selbstbestimmtewg@gmx.de

 

Die Aktion Mensch hat den Umbau der Wohnungen der ISB ambulante Dienste gGmbH zur Steigerung der Barriefreiheit mit 168.462 Euro gefördert.

 

Linktipps:

Blog von Philip "RolliNavi"

Webseite von Annette

Auf einen Abend in der Sushi-Bar - Eine besonders enge Freundschaft

Nicht nur gute Co-Piloten - Ein inklusives Liebespaar

Eine ganz normale Liebesgeschichte - Ein inklusives Liebespaar

Burger à la Inklusion - Mitarbeiter mit und ohne Behinderung arbeiten Hand in Hand

 

Annette und Marion berühren sich an den Händen und lachen.Marion deckt den Tisch. Sie verteilt gerade Messer auf den Plätzen.Phlip lächelt in die Kamera. Im Vordergrund sieht man unscharf Marion und im Hintergund ist Annette unscharf zu erkennen.Annette sitzt am Tisch, vor ihr steht eine Tasse. Sie lacht.Annette hat Philip spaßeshalber im Schitzkasten und lächelt in die Kamera.Philip hält Annette und Marion im Arm. Über seine Schulter schaut die Bloggerin Katharina.Philip und Annette lachen. Phlip hat ein Dessert in der Hand.Annette bei der Arbeit in ihrem Atelier.

(Katharina Hovestädt)


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