Special Olympics Deutschland (SOD) bietet ein Gesundheitsprogramm für Sportler mit geistiger Behinderung an
Menschen mit geistiger Behinderung tragen ein um 40 Prozent höheres Risiko für zusätzliche gesundheitliche Einschränkungen wie zum Beispiel Übergewicht, Vitaminmangel, unbehandelte oder schlecht behandelte Sehschwäche, Hör- und Fußschäden oder schlechte Zähne. Die Organisatoren der Special Olympics haben deshalb ein Gesundheitsprogramm für ihre Athleten entwickelt. Parallel zu den Wettkämpfen gibt es kostenlose Sehtests, Zahnarzt-Untersuchungen, Hörprüfungen und Tipps für einen gesunden Lebensstil. Die Ärzte, Optiker, Orthopäden, Zahnärzte und viele andere Helfer arbeiten ehrenamtlich mit. Ich habe mit Dr. Imke Kaschke, der Koordinatorin des Programms, gesprochen:
Frau Kaschke, wie ist die Idee zu "Healthy Athletes" entstanden?
Imke Kaschke: Die Special Olympics-Bewegung kommt aus den USA. Inzwischen gehören dieser Bewegung mehr als 180 Länder an. Auch das Gesundheitsprogramm wurde in den USA entwickelt und im Jahr 2004 in Deutschland eingeführt. Seitdem wird es regelmäßig bei den regionalen und nationalen Veranstaltungen angeboten. Im vergangenen Jahr waren wir bei 26 Veranstaltungen dabei. Bei den Sommerspielen 2013 in München haben wir 4.000 Untersuchungen durchgeführt, im Jahr davor in Bremen über 5.000.
Was beinhaltet das Programm?
In dem Gesundheitsprogramm geht es in erster Linie um eine gesunde Lebensweise, aber auch um gesundheitliche Kontrolluntersuchungen. Es hat sechs verschiedene medizinische Bereiche: "Besser sehen", "Besser hören" sowie das Physiotherapie-Programm "Bewegung mit Spaß". Außerdem den Bereich "Gesund im Mund", bei dem es um Zahn- und Mundgesundheit geht. Das Teilprogramm "Fitte Füße" zielt auf die richtige Fußpflege und die richtige Wahl der Schuhe ab. Im Teilprojekt "Selbstbestimmt gesünder" schließlich werden alle Teilbereiche aufgegriffen, und es wird versucht, den Sportlern dieses Wissen verständlich nahezubringen.
Erhöhtes Risiko für zusätzliche gesundheitliche Belastungen
Ihr Programm wendet sich an Menschen mit geistiger Behinderung, die sportlich aktiv sind. Bedeutet ein Gesundheitsprogramm für Sportler nicht Eulen nach Athen tragen?
Wir stellen immer wieder fest, dass Athleten mit geistiger Behinderung, auch wenn sie regelmäßig trainieren, trotzdem ein erhöhtes Risiko für zusätzliche gesundheitliche Belastungen und Einschränkungen haben. Von den ungefähr 400.000 Menschen mit geistiger Behinderung in Deutschland sind etwa 40.000 bei den Special Olympics aktiv. Der Behandlungs- und Versorgungsbedarf bei Menschen mit geistiger Behinderung ist viel höher als bei der Durchschnittsbevölkerung. Der tatsächliche Versorgungsgrad ist aber wesentlich geringer als beim Durchschnitt.
In welchen Bereichen zeigt sich bei Ihren Untersuchungen denn Versorgungsbedarf?
Jeder zweite von uns untersuchte Sportler hat beispielsweise eine Zahnfleischentzündung. Oder: Im Teilprogramm "Besser sehen" wird bei den Athleten die Sehstärke gemessen. Wenn festgestellt wird, dass sie eine Sehkorrektur benötigen, können sie sich ein Gestell aussuchen, und später bekommen sie kostenlos ihre Brille. 50 Prozent derer, die seit 2004 am Programm teilnahmen, haben eine neue Brille bekommen müssen, weil sie entweder gar nicht oder falsch versorgt waren. Wir haben manchmal Fälle dabei gehabt, die um vier oder fünf Dioptrien falsch versorgt waren. Und niemand hat es bemerkt!
Wie wollen Sie das ändern?
Es ist extrem wichtig, dass wir Menschen mit geistiger Behinderung dazu befähigen, selbst ihren Gesundheitszustand beurteilen und diesen auch mitteilen zu können. Häufig ist es so, dass die Beschwerden gar nicht bewusst wahrgenommen werden oder dass die Angebote, die es von medizinischer Seite gibt, nicht bekannt sind.
Beratung auch in Leichter Sprache
Also besteht neben dem Behandlungsbedarf auch ein großer Beratungsbedarf?
Auf jeden Fall! Und vor allem auch eine Beratung, die sich in Leichter Sprache den Menschen zuwendet. Die Beratung muss auf die besonderen Bedürfnisse eingehen können. Deshalb haben wir auch unsere ehrenamtlichen Helfer dahingehend geschult. Es gibt zum Beispiel in der üblichen Ausbildung für Mediziner und Zahnmediziner keine obligaten Lehrinhalte, die vermitteln, wie man mit Menschen mit geistiger Behinderung und deren besonderen Bedürfnisse umgeht.
Heißt das, Sie erklären den ehrenamtlichen Helfern und Ärzten, wie man sich in Leichter Sprache ausdrückt?
Genau. Wir haben gerade auch die ersten Informationsmaterialien in Leichter Sprache publiziert. Diese können auf unserer Homepage kostenlos heruntergeladen werden. Bislang gibt es Informationen zur Fußpflege, zur Hörkontrolle und zum Zähneputzen. Leichte Sprache spielt auch in unserem Projekt "Selbstbestimmt gesünder", das in 2014 weiterläuft, eine wichtige Rolle.
Von Verfechtern der Inklusion wird manchmal kritisiert, dass Veranstaltungen wie die Paralympics oder die Special Olympics dem Inklusionsgedanken widersprechen. Wie sehen Sie das?
Ich bin ein großer Freund der Inklusion. Bei den Special Olympics-Veranstaltungen kommen so viele Menschen mit und ohne Behinderung zusammen, dass ich schon auch von einer inklusiven Veranstaltung sprechen kann. Auch das Training der Athleten im Vorfeld der Wettkämpfe läuft ganz oft inklusiv ab. Bezogen auf mein Feld, den Gesundheitsbereich, glaube ich aber, dass es bei Menschen mit geistiger Behinderung besondere Bedürfnisse gibt, denen wir auch mit besonderen Angeboten Rechnung tragen müssen.
Special Olympics ist die weltweit größte, vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) offiziell anerkannte Sportbewegung für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung. Sie wurde im Jahr 1968 durch Eunice Kennedy-Shriver, einer Schwester von US-Präsident John F. Kennedy ins Leben gerufen. Zu Special Olympics Deutschland (SOD) gehören heute mehr als 40.000 Athleten in 14 Landesverbänden. In 26 Einzel- und Mannschaftssportarten werden Trainingsmöglichkeiten und Wettkämpfe angeboten. Die Nationalen Sommerspiele finden in diesem Jahr vom 19. bis 23. Mai in Düsseldorf statt.
Linktipps:
Mehr Infos zur den Special Olympics Deutschland
Das Gesundheitsprogramm "Healthy Athletes" der Special Olympics
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(Autor: Ulrich Steilen)