Auf dem Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung gibt es immer noch viel Nachholbedarf - das zeigt das neue Inklusionsbarometer der Aktion Mensch
"Ich musste immer mehr beweisen als ein Mensch ohne Behinderung." Diesen Satz würden wohl viele Menschen mit Behinderung unterschreiben, wenn es um ihre Erfahrungen in der Arbeitswelt geht. Gerd Auchter, der diesen Satz sagt, hat das geschafft. Seit einem Motorradunfall vor fast 30 Jahren kann er seinen linken Arm nicht mehr bewegen, über die Jahre kamen Folgeschäden hinzu. Seinen erlernten Beruf als Maler konnte er nicht mehr ausüben. Nach der Umschulung zum Industriekaufmann begann eine lange Suche. Doch als Werkstattleiter und heute als Projektmanager am Flughafen München hat Gerd Auchter seinen beruflichen Weg gemacht.
Guter Arbeitgeber
Er hat immer bewiesen, dass er etwas leisten kann. Vielleicht mehr leistet als andere, weil er weiß, dass sein bewegungsunfähiger Arm immer Zweifel auslöst. Zweifel, die er erst einmal zerstreuen musste. Immer wieder. Dabei hat Auchter mit seinem Arbeitgeber großes Glück gehabt: Die Münchner Flughafen-Gesellschaft gehört zu den vorbildlichen Unternehmen, wenn es um die Integration von Menschen mit Behinderung geht. Die gesetzlichen Quoten werden hier stets mehr als erfüllt.
Dass in vielen Firmen dagegen immer noch großer Nachholbedarf besteht, zeigt das neue Inklusionsbarometer, das die Aktion Mensch zusammen mit dem Handelsblatt Research Institute erstellt hat. Mit 14 Prozent ist die Arbeitslosigkeit unter Menschen mit Behinderung doppelt so hoch wie im Durchschnitt. Und das, obwohl mehr als 80 Prozent der Arbeitgeber sagen, dass sie keine Leistungsunterschiede feststellen.
Lippenbekenntnisse?
Offenbar gibt es immer noch eine große Lücke zwischen Bekenntnis und Handeln. Das belegt die neue Studie - die jetzt jährlich wiederholt wird - ganz deutlich. Nehmen wir mal drei Zahlen: 88 Prozent der befragten Personalverantwortlichen würden nach der Studie ihr Unternehmen einem stellensuchenden Menschen mit Behinderung empfehlen. Aber: Nur 64 Prozent geben an, die vorgeschriebene Fünf-Prozent-Quote an Pflichtarbeitsplätzen auch zu erfüllen. Und selbst diese Zahl ist zweifelhaft: Nach den jüngsten amtlichen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit sind es sogar nur 40 Prozent.
Also alles Lippenbekenntnisse? Die Unternehmen schöpften das Potenzial der Menschen mit Behinderung jedenfalls bei weitem nicht aus, sagt Bert Rürup, der das Handelsblatt Research Institute leitet. Experten empfehlen den Unternehmen, gerade angesichts des wachsenden Fachkräftemangels umzudenken. Kann sein, dass die Arbeitgeber einfach gezwungen sein werden, die Fähigkeiten von Menschen mit Behinderung anzuerkennen. Schade, dass äußerer Druck dafür notwendig zu sein scheint.
Übrigens sagen rund 80 Prozent aller für das Inklusionsbarometer Befragten, dass die Mitarbeit von Menschen mit Behinderung sich einfach gar nicht auf das Arbeitsumfeld auswirke. Nicht schlecht, nicht gut - normal.
Linktipps:
Das Inklusionsbarometer der Aktion Mensch zum Thema Arbeit von Menschen mit Behinderung (PDF-Datei)
Bert Rürup im SPIEGEL-Interview über das Inklusionsbarometer Arbeit
Das Handlungsfeld "Am Arbeitsplatz" der Aktion Mensch
Die Unternehmenskultur gewinnt. Ein Blogbeitrag über die Flughafen München GmbH, die wegen innovativer Konzepte für Mitarbeiter mit Behinderung mit dem Inklusionspreis ausgezeichnet wurde
Jemand, der sich kümmert ... Ein Blogbeitrag von Eva Keller über eine Fachtagung zur Inklusion in Ausbildung und Arbeit
Potenziale nutzen - mit Aktionsplänen. Ein Interview im Blog von Stefanie Wulff mit Rainer Wallbruch über Aktionspläne von Unternehmen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention
(Autor: Werner Grosch)