Für Frauen mit Behinderung ist es besonders schwierig, sich am Arbeitsmarkt zu behaupten. Nur etwa ein Fünftel von ihnen ist erwerbstätig. Viele von ihnen schätzen ihre Vermittlungschancen als schlecht ein und ziehen sich aus dem Erwerbsleben zurück, ohne sich arbeitslos zu melden. Viele werden ungewollt und allzu schnell auf den häuslichen Bereich zurückgewiesen. Dass eine Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt dennoch gelingen kann, zeigt das Beispiel der blinden Erzieherin Silja Korn.
"Die Kinder lieben es, zu mir zu kommen. Hier in meinem Raum haben sie einen Rückzugsort. Wir machen Fingerspiele, die Kinder hören Geschichten, malen bunte Bilder", erzählt Silja Korn leidenschaftlich. Die blinde Frau arbeitet seit 24 Jahren als Erzieherin.
Sie wird mit einem Sehfehler geboren. Mit 12 zieht sie sich bei einem Unfall eine weitere Verletzung im Augenhintergrund zu, die von den Ärzten nicht bemerkt wird. Als Folge ist Silja Korn seit dem 17. Lebensjahr vollständig blind. Selbst Hell und Dunkel kann sie nicht mehr unterscheiden. Ab der 6. Klasse, ein Jahr nach dem Unfall, besucht sie die Blindenschule - eine harte Zeit beginnt. Innerhalb weniger Monate muss sie lernen, was die anderen Kinder in sechs Jahren gelernt haben. "Ich hätte mir gewünscht, dass die Lehrer auf der Blindenschule mehr auf mich und meine psychischen Probleme eingehen. Ich war traumatisiert, konnte nicht mit dieser extremen Situation umgehen. Meine Eltern waren ebenfalls überfordert, sie mussten noch vier andere Kinder versorgen", berichtet die Berlinerin. "So habe ich sehr lange gebraucht, um meine Blindheit zu akzeptieren und damit umzugehen."
Als Silja Korn 15 ist, wird im Unterricht das Thema Berufswahl behandelt. Aus ihrem Wunsch heraus, ein Katalysator zwischen blinden Kindern und Pädagogen an der Blindenschule zu werden, entwickelt sie die Idee, Erzieherin zu werden. Und absolviert ein dreiwöchiges Schulpraktikum in einer Kindertagesstätte. Die Kinder begegnen ihr sehr offen und haben kein Problem mit ihrer Sehbehinderung. "Ich habe mir mit den Kindern zum Beispiel ein Buch angeschaut, wobei mir die Kinder beschrieben haben, was sie in dem Buch sehen. In der Gruppe der Zwei- bis Vierjährigen war auch ein Junge mit Down-Syndrom, der noch nicht sprechen konnte. Er hat mich beobachtet. Zum Ende meines Praktikums kam er zu mir, setzte sich auf meinen Schoß und fing an zu sprechen, zwar unverständlich, aber er sprach. Das war ein Highlight für die Erzieher dort. Sie kamen zu der Erkenntnis, dass eine blinde Erzieherin ein Vorbild für Kinder mit und ohne Behinderung sein kann."
Ein Berufswunsch mit Hindernissen
Die Unterstützung der Lehrer von der Blindenschule bei der Umsetzung ihres Berufswunsches bleibt jedoch aus. Nach dem Realschulabschluss macht Silja Korn stattdessen ein Aufbaujahr, in dem sie ihre Schreibmaschinenfähigkeiten verbessert, um später eine Ausbildung zur Telefonistin und Stenotypistin zu machen. In dieser Zeit begegnet sie einer jungen Frau, die sie nach ihren beruflichen Plänen fragt. Silja Korn erzählt ihr, dass niemand hinter ihrem Wunsch, Erzieherin zu werden, stehe und sie nicht wisse, wie sie das umsetzen solle. Die junge Frau bestärkt sie und gibt ihr die Adresse einer Erzieherfachschule. Dort bewirbt Silja Korn sich schließlich um einen Ausbildungsplatz. Und wird angenommen. Zwei Assistentinnen helfen ihr dort bei schulischen Texten - eine übersetzt diese in die Blindenschrift, die andere spricht Texte auf Kassette. Die Lehrer stellen sich auf Silja Korns Bedürfnisse ein und geben ihr Zusatzstunden, wenn sie bei Tafelbildern nicht mitkommt.
Doch nach erfolgreichem Abschluss der Erzieherfachschule will ihr der Senat zunächst nicht die staatliche Anerkennung als Erzieherin gewähren. Kolleginnen und die Behindertenbeauftragte ihres Stadtteiles setzen sich für sie ein, immerhin hat man vor Beginn ihrer Ausbildung gewusst, dass sie blind ist. Nach vier Monaten ist es dann endlich soweit: "Eine blinde Erzieherin hatte es bis dahin noch nicht gegeben", erklärt Silja Korn stolz.
Wichtig ist es, seine Nische zu finden
Auf der Suche nach einer Anstellung erfährt sie, dass nicht alle Kolleginnen bereit sind, eine blinde Mitarbeiterin zu akzeptieren. Doch in einer Kita im Stadtteil Schöneberg gibt es eine Kollegin, die einen blinden Vater hat und sehr offen ist. In dieser Kita, in der auch behinderte Kinder integriert sind, viele einen Migrationshintergrund haben und aus zum Teil schwierigen sozialen Verhältnissen kommen, beginnt Silja Korn 1989 ihre Arbeit. Neun Jahre lang betreut sie dort halbtags Hortkinder bei der Anfertigung der Hausaufgaben, bei hauswirtschaftlichen Tätigkeiten und anderen kleinen Projekten. Und während die Kolleginnen sich auf Themen wie Sport, Basteln oder Musizieren spezialisieren, konzentriert sie sich auf die Sprache. "Die vielen türkischen und arabischen Kinder mussten, statt mit Gesten zu kommunizieren, mit mir sprechen, um mir etwas verständlich zu machen. Ich habe Spiele für den Spracherwerb entwickelt, damit die Kinder besser sprechen lernten."
Nach 15 Jahren wechselt Silja Korn wegen der Schließung von Kitas insgesamt dreimal die Einrichtung. Heute arbeitet sie in einer Kita im Kleinkinderbereich. "Dafür musste ich mich neu orientieren, habe aber meine Spezialisierung auf den Schwerpunkt Sprache beibehalten. Kleinkinder brauchen eine andere Fürsorge als größere Kinder und sind sprachlich noch nicht so weit entwickelt. So musste ich meine Lernkonzepte neu ausrichten. In einem separaten Raum mache ich Spracherziehung entweder mit einem einzelnen, sehr jungen Kind oder einer Gruppe von drei bis vier Kindern, wenn sie schon etwas älter sind." Die Kolleginnen, so berichtet Silja Korn, finden es dabei sehr wichtig, dass die Kinder lernen: Da ist jemand anders. "Viele Kinder", so betont die heute 47-Jährige, "wollen in den normalen Gruppen oft nicht sprechen. Bei mir MÜSSEN sie sprechen. Wenn ich im Alltag unterwegs bin, erlebe ich es oft, dass die Menschen Berührungsängste mir gegenüber haben. Mit den Kindern ist das anders."
Sechs Stunden in der Woche steht Silja Korn eine Arbeitsassistentin vom Integrationsamt zur Seite. "Sie hilft mir bei der Computerarbeit, sie versieht Bilderbücher mit Blindenschrift oder ändert Spiele um, die es noch nicht als Integrationsspiele gibt. In meine pädagogische Arbeit greift sie nicht ein." Diese Selbstbestimmtheit ist Silja Korn sehr wichtig. Um das zu erreichen, so betont sie, müssen Menschen mit Behinderung aktiv werden. Die Blindenschule habe sie auf ihrem beruflichen Werdegang nicht wirklich unterstützt. Erst als sie selbst den Mut hatte, ihren Berufswunsch, Erzieherin zu werden, in die Tat umzusetzen, sei sie aus ihrem Loch herausgekommen.
Silja Korn ist zufrieden mit ihrer beruflichen Situation. Davon, dass es auf ihrem Weg auch Menschen voller Neid und Missgunst gab, hat sie sich nicht beirren lassen. Sie möchte jetzt ihrerseits andere bestärken und ihnen Mut machen, den eigenen Weg zu gehen.
Für die Wanderausstellung "Teilhabe on Tour - Berufs- und Lebenswege behinderter Frauen" des Berliner Vereins Life e. V. hat sie nun - zusammen mit vier weiteren Frauen - ihre Erfahrungen dokumentiert und gibt Einblicke in ihren Arbeitsalltag. Die Ausstellung ist bis zum 27. November 2013 in der Berolina Galerie des Bürgeramts Berlin Mitte/ Rathaus Mitte zu sehen.
Linktipps:
Die Ausstellung "Teilhabe on Tour - Berufs- und Lebenswege behinderter Frauen"
(Autor: Margit Glasow)