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Down Under – Steht alles auf dem Kopf?

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Petra Strack vor der Sydney-Harbour-Bridge in Australien.

Down Under, der Kontinent am anderen Ende der Welt: Australien! Hier verbrachte ich ein halbes Jahr meines Studiums mit einem Praktikum in der Personalabteilung der Staatsanwaltschaft von New South Wales. Kurz vor Beginn der Reise war ich dann doch etwas aufgeregt: Wie würde es sein, am anderen Ende der Welt?

Super wurde es! Und zwar aus einigen Gründen, die ich erwartet hatte (Strand, Sonne und das Nachtleben von Sydney), und aus einem Grund, den ich nicht erwartet und über den ich mir im Vorfeld gar keine Gedanken gemacht hatte: der selbstverständliche Umgang der Australier mit dem Thema Behinderung.

Schon am Flughafen in Sydney fiel mir der Unterschied auf, auch wenn ich es in dem Moment als Zufall wertete und zu erschöpft von dem langen Flug war, um mich zu wundern. Einem Außenstehenden mag das Erlebte auch bedeutungslos erscheinen, aber jeder sichtbar behinderte Mensch weiß, wie äußerst selten es ist, dass bei der Passkontrolle Fragen an einen selbst gerichtet werden und nicht an den Assistenten. Hinzu kommt, dass ich in dem Moment in Ermangelung meines Rollstuhls, der noch ausgeladen wurde, gerade wie ein Kind auf dem Arm meines Assistenten getragen wurde.

Keine Berührungsängste

Auch während meines Praktikums war die Behinderung nie ein Thema, es gab keine Berührungsängste, und mir wurden Aufgaben mit einem hohen Verantwortungslevel ohne Bedenken anvertraut. Mein Chef stellte mich außerdem einer seiner Kolleginnen vor, die dort als Führungskraft eine der Rechtsabteilungen leitete, Julie. Was in Deutschland immer noch extrem selten ist, begegnete mir in Australien innerhalb der ersten Woche, nämlich eine Karriere mit Handicap: Julie ist eine Powerfrau Anfang 50 und hat eine Behinderung namens Osteogenesis imperfekta, besser bekannt als Glasknochenkrankheit. Etwa 25 Jahre älter als ich (also auch in einer 25 Jahre älteren Gesellschaft) hat sie sich in Australien ganz selbstverständlich eine Führungsposition erkämpft.

Die Schattenseite

Ich könnte noch einige Loblieder auf den lockeren und selbstverständlichen Umgang der meisten Australier singen, doch wie die meisten wahren Geschichten im Leben hat auch diese ihre Schattenseite. Und das ist die australische Gesetzgebung in Bezug auf einige wichtige Dinge in puncto Behinderung. Da wäre zum einen die Finanzierung der Assistenzleistungen, die zumindest zum Zeitpunkt meines Auslandsaufenthalts noch nicht gesetzlich geregelt war, so dass die meisten Menschen mit Behinderung nicht selbständig wohnen, sondern bei ihren Familien bleiben müssen. Ein anderer Punkt betraf mich ganz direkt: Ich war so begeistert von Australien, dass ich eine Weile überlegte auszuwandern. Die Immigrationsberaterin, von der ich mich beraten ließ, wo wie welcher Antrag zu stellen sei, fragte mich irgendwann im Laufe der Beratung, ob sie mir "off the record", also im Vertrauen, etwas sagen dürfe, was ich natürlich bejahte. Die schockierende Botschaft war, dass ich aufgrund meiner Behinderung niemals ein dauerhaftes Visum erhalten würde, da die Immigrationsbehörde dazu angehalten ist, Kosten und Gewinn gegenzurechnen und eine so schwere Behinderung wie meine immer als K.-O.-Kriterium gelten würde. Meine einzige Chance sei, einen Australier zu heiraten.

Dieser Schritt schien mir mit 21 Jahren dann doch etwas drastisch, so dass ich nachdenklich die Heimreise antrat. In meinem Kopf drehten sich während des 20-stündigen Flugs immer wieder dieselben zwei Fragen: Was ist mir wichtiger? Der Umgang auf Augenhöhe mit Behinderten in der Gesellschaft oder die rechtlichen Rahmenbedingungen, die ein gleichberechtigtes Leben ermöglichen? Und kann man nicht irgendwie beides erreichen?


Linktipps:
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(Autor: Petra Strack)


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