Das Reiseunternehmen "tour de sens" veranstaltet gemeinsame Touren für blinde, sehbehinderte und sehende Reisegäste. Ein Interview mit Laura Kutter, einer der Gründerinnen.
Die Schwestern Laura (31) und Johanna (29) Kutter haben das Unternehmen "tour de sens" gegründet und veranstalten seit Herbst 2011 gemeinsame Touren für blinde, sehbehinderte und sehende Reisegäste. Ihr Anliegen: das Reisen für diejenigen zu erleichtern, die unterwegs mit Barrieren zu kämpfen haben. Ich habe mich mit Laura Kutter verabredet, um mit ihr über das Reisen mit allen Sinnen zu sprechen.
Der Name Ihres Unternehmens "tour de sens" steht für das Reisen mit allen Sinnen. Was erwartet die Reisenden auf Ihren Touren?
Laura Kutter: Wir haben uns für den französischen Namen entschieden, weil er so ähnlich klingt wie "tour de france". Und wir wollten einen Namen wählen, der auf die unterschiedlichen Sinneswahrnehmungen abzielt, also nicht nur auf das Sehen, sondern auch auf den Geschmacks- und Tastsinn. Wir gestalten unser Programm so, dass es auch für die Reisenden mit Sehbehinderung interessant ist. Sightseeing im klassischen Sinne, zum Beispiel von einer Kirche in die nächste hetzen, machen wir nicht. Wir konzentrieren uns auf wenige Dinge und versuchen sie so zu entdecken, dass sie für alle gut wahrnehmbar sind. Wir besuchen beispielsweise nur eine Kirche in einer Stadt und nehmen dort an einer taktilen Führung teil, bei der Gegenstände und Architektur angefasst werden können. Oder wir hören uns dort ein Orgelkonzert an.
Worauf legen sie außerdem Wert?
Laura Kutter: In unser Programm bauen wir auch immer einige kulinarische Entdeckungen ein, etwa bei einer Weinprobe. Wir essen eher selten im Hotel, sondern gehen lieber in die Restaurants vor Ort, um die landestypische Küche kennen zu lernen. Das kulinarische Erlebnis ist gerade für unsere blinden und sehbehinderten Reisegäste sehr wichtig.
Geht es auch in die Natur?
Laura Kutter: Ja, bei unseren Wanderreisen steht ganz klar das Naturerlebnis im Vordergrund. Erst kürzlich sind wir ins Elsass gereist. Dort lassen sich Natur und kulinarischer Genuss hervorragend kombinieren.
Wann und wie ist Ihnen die Idee zu "tour de sens" gekommen?
Laura Kutter: Ich selbst hatte schon vorher im Tourismus gearbeitet und wollte mich selbstständig machen. Außerdem hatten wir Bekannte mit Sehbehinderung, die uns auf die Idee brachten, in diesem Bereich etwas anzubieten. Seit Herbst 2011 haben meine Schwester und ich dann viele gemeinsame Aktionen mit der Stuttgarter Bezirksgruppe des Blinden- und Sehbehindertenverbandes unternommen. Zum Beispiel haben wir an deren Ausflügen und Wanderungen teilgenommen, um zu erleben, wie es ist, jemanden auf einer Wanderung oder Reise zu begleiten. Dabei haben wir erfahren, dass es für einen sehenden Menschen sehr interessant sein kann, einem anderen Dinge, die man unterwegs sieht, zu beschreiben. Es prägt sich alles viel besser ein und man nimmt alles viel intensiver wahr.
Deshalb reisen bei Ihnen Sehende und Blinde auch immer gemeinsam?
Laura Kutter: Ja, genau. Das war die zweite Idee für unser Unternehmen, die Reisen für Sehende und Blinde gemeinsam anzubieten. Zwar kommen die Sehenden oft aus dem Umfeld der Blinden. Aber wir machen auch Werbung, die sich an alle anderen Sehenden richtet, weil die Sehenden nicht in erster Linie als Betreuer mitfahren sollen, sondern weil sie einfach Lust haben, einmal anders zu reisen und auf eine andere Art zu entdecken.
Ist die Anzahl der sehenden und der blinden Teilnehmer denn ungefähr gleich?
Laura Kutter: Ja, fast immer. Und das ist auch wichtig, denn wir bilden auf der Reise jeden Tag "Zweiergruppen", die jeweils aus einem sehenden und einem nicht sehenden Teilnehmer bestehen. Die Zusammensetzung der Zweiergruppen wechselt jeden Tag, und dadurch entsteht unglaublich viel Kommunikation. Das belebt die Gruppendynamik ungemein, und es entwickelt sich sehr schnell eine offene und meist sehr angenehme Atmosphäre. Über 70 Prozent unserer Teilnehmer kommen wieder und reisen mehrmals mit uns, sowohl aus der Gruppe der Sehenden als auch aus der der blinden Teilnehmer.
Wo geht die Reise hin?
Laura Kutter: In diesem Jahr haben wir 13 Reisen nach Spanien, Portugal, Frankreich und innerhalb Deutschlands angeboten. Die meisten Reisen führen uns nach Spanien. Das liegt einerseits daran, dass wir uns dort auskennen - ich habe mehrere Jahre in Granada gelebt. Andererseits erweist sich die Infrastruktur hinsichtlich der Barrierefreiheit für blinde und sehbehinderte Menschen in Spanien als ziemlich gut. Dafür ist auch die spanische Blindenorganisation "ONCE" verantwortlich, die finanziell recht gut aufgestellt ist.
Eignen sich alle Länder gleichermaßen für barrierefreie Reisen, so wie Sie sie veranstalten?
Laura Kutter: In Portugal haben wir ebenfalls viele gute Erfahrungen gemacht. Zwar ist dort in Hinblick auf die Infrastruktur nicht alles so professionell wie in Spanien. Aber die Leute vor Ort reagieren immer sehr spontan und hilfsbereit, so dass eventuelle Probleme immer sehr schnell gelöst werden können. Die meisten Probleme hatten wir vielleicht in Frankreich. Dort gab es einige Male Schwierigkeiten bei der Mitnahme von Blindenführhunden im Hotel. Im Vergleich dazu sind die Leute in Deutschland schon recht verständnisvoll und auch offener für unsere inklusive Art des Reisens.
Zum Thema Barrierefreiheit möchte ich aber noch sagen, dass die größten Barrieren oft diejenigen in den Köpfen sind. Und zwar auf beiden Seiten, also bei den Sehenden, aber teilweise auch bei den sehbehinderten und blinden Menschen. Der Austausch und das gemeinsame Reisen hilft enorm dabei, dass sich beide Gruppen füreinander öffnen, auch wenn sich das jetzt ein bisschen pathetisch anhört. Für uns ist es sehr schön, zu erleben, dass sich Freundschaften zwischen den Teilnehmern entwickelt haben, die auch nach den Reisen andauern.
Der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Hubert Hüppe, hat "tour de sens" als Beispiel guter Inklusionspraxis ausgezeichnet. Das kleine Reiseunternehmen leiste "einen Beitrag gemäß Artikel 8 der UN-Behindertenrechtskonvention zur öffentlichen Bewusstseinsbildung für den Inklusionsgedanken", heißt es zur Begründung.
Linktipps:
"Tour de sens" - gemeinsames Reisen für blinde, sehbehinderte und sehende Menschen
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(Autor: Ulrich Steilen)