Darauf hätte in Rostock wohl niemand gewettet: Ausgerechnet das Sportforum, ein vergessenes steinernes Relikt aus der Blütezeit des DDR-Sports, eröffnete im August als Europas größtes Integrationshotel neu und ist jetzt ein Vorzeigeprojekt für Barrierefreiheit und Inklusion in Mecklenburg-Vorpommern.
Viele Jahre standen der neunstöckige Turm und das angrenzende Bürogebäude leer und wurden ein Schandfleck inmitten moderner Rostocker Sportanlagen. Ab 1962 hatte die DDR darin ein Internat mit 199 Betten für ihre Sportelite betrieben und junge Frauen und Männer für Spitzenleistungen vor allem in der Leichtathletik trainiert. Talente wie die Welt- und Olympiasiegerin über 400 Meter, Marita Koch, oder die Sprintweltmeisterin Silke Gladisch waren von dort aus auf Erfolgskurs gegangen. Doch als der ehemalige Leistungssportstützpunkt nach der Wende schloss, wusste die Stadt Rostock nicht mehr so recht, was sie mit dem Gebäude anfangen sollte.
Konzept eines barrierefreien Hotels
Es war der ehemalige Leistungsschwimmer Henry Naethbohm, heute Besitzer einer Metallbaufirma in Rostock, der aus alter Verbundenheit zur Stätte seiner sportlichen Ausbildung der Stadt den Hotelturm abkaufte. Ihm schwebte die Verbindung von einem Sportzentrum und einer Gästeunterkunft vor. Vom damaligen Vorsitzenden des Vereins "Ohne Barrieren", Ralf Grabow, ließ sich der Investor von dem Konzept eines barrierefreien Hotels überzeugen, das für Urlauber ebenso attraktiv wie für Tagungsgäste, aktive Sportlerinnen und Sportler, Sportfunktionäre oder Geschäftsreisende sein soll. "Ohne Barrieren" wurde Pächter und Betreiber des Hotels Sportforum. Der Rostocker Verein hatte 1988 das erste DDR-weite Treffen für Menschen mit Behinderung organisiert und seit den 90er Jahren einige Hotels und ein Jugendgästehaus zu barrierefreien Integrationsbetrieben umgestaltet.
Barrierefreies Bauen war in der DDR kein Thema gewesen, erst recht nicht in einer Kaderschmiede für Leistungssport, erzählt Stephan Mehlhorn, Pressesprecher von "Ohne Barrieren". Lediglich einen Fahrstuhl gab es im Internat, doch nach einer gründlichen Entkernung und Sanierung kommen das um eine Etage aufgestockte Hotel und sein Nebengebäude zumindest dem Ideal der Schwellenfreiheit inzwischen näher. "Wir sind im Grunde in Bezug auf bauliche Barrieren komplett barrierefrei", so Stephan Mehlhorn. Neun der 92 Zimmer hat der Betreiber speziell als geräumige Suiten für Menschen, die im Rollstuhl sitzen, ausgestattet. "Da sind die Bäder viel größer und mit entsprechenden Haltevorrichtungen, Notrufsystemen, Haltegriffen und Duschhockern ausgestattet", erklärt Mehlhorn. "Waschbecken können unterrollt werden, und es gibt besondere Vorrichtungen für die Umsetzbarkeit vom Rollstuhl auf andere Vorrichtungen. Die Betten sind elektrisch höhenverstellbar, alle Schalter und notwendigen Bedienungselemente kann man vom Rollstuhl aus erreichen. Alles ist so angelegt, dass Gäste, die im Rollstuhl sitzen, alles selbstbestimmt machen können." Teurer als vergleichbare Zimmer sind diese Suiten nicht.
Menschen mit Behinderung überall im Betrieb einsetzen
13 der 25 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten des Hotels sind Menschen mit Behinderung. "Die Mannschaft ist in der Regel in allen Bereichen 50:50 durchmischt, ob das jetzt im Empfang ist oder im Gastrobereich, in der Küche, im Backoffice oder im Roomkeeping", sagt Mehlhorn. Es gehe darum, Menschen mit Behinderung entsprechend ihrer Fähigkeiten und Interessen überall im Betrieb einzusetzen. Pädagogische Begleiter helfen ihnen, wo das nötig ist, bei der Orientierung im neuen Job, unterstützen sie dabei, sich die Arbeitsabläufe einzuprägen, und weisen sie darin ein, mit den Gästen zuvorkommend umzugehen. Nicht in allen Jobs kommen Beschäftigte mit Behinderung mit Hotelgästen direkt in Berührung. "Personen, die Lernschwierigkeiten oder psychische Einschränkungen haben, gehen mit dem Kunden stets in Begleitung um", erklärt Mehlhorn. "Wir passen auf, dass es nicht zu Konfliktsituationen kommt. Gerade da, wo man auch mal spontan mit neuen Situationen umgehen können muss, wird niemand alleine gelassen."
Die Kundschaft reagiert bisher sehr positiv auf die Besonderheiten des neu eröffneten Hotels, das die Aktion Mensch mit 250.000 Euro bezuschusste. Auf die Barrierefreiheit sowieso, die besonders auch für ältere Gäste die Zugänge und Orientierung im Haus erleichtert, sagt Mehlhorn. Aber auch das integrative Konzept schätzen die Kunden - wenn es denn jemand überhaupt auffällt. "Für uns ist der Mix im Team Normalität, und wenn jemand danach fragt, erklären wir ihm das Konzept natürlich. Es ist aber nicht unser Ziel, dass unbedingt jeder Gast darüber Bescheid wissen muss." Das Hotel Sportforum will keinen Behindertenbonus, es muss als wirtschaftliches Unternehmen mit guten Leistungen im Markt bestehen. Dass aus dem ehemaligen Haus für Sieger dabei ein Haus der Vielfalt vor und hinter dem Empfangsschalter geworden ist, ist ein schöner Nebeneffekt.
Linktipps:
Das Hotel Sportforum in Rostock
Infos zur Baugeschichte des Hotels Sportforum mit vielen Fotos
Informationen über Reiseziele des barrierefreien Tourismus in Mecklenburg-Vorpommern vom Verein "Ohne Barrieren"
Mehr zum Thema "Barrierefrei Reisen" bei der Aktion Mensch
Das Handlungsfeld "Am Arbeitsplatz" der Aktion Mensch
Mehr Kultur! Neue Wege zum barrierefreien Tourismus. Ein Blogbeitrag von Ulrich Steilen über barrierefreie Führungen durch Trier, Erfurt und die Documenta
Beruf inklusiv: Fester Job im Hotel. Ein Blogbeitrag von Heiko Kunert über ein Netzwerk zur Eingliederung von Menschen mit Behinderung in der Ersten Arbeitsmarkt
Teilhabe zwischen Töpfen und Tellern. Ein Blogbeitrag von Timo Klippstein über ein Beispiel gelungener Inklusion am Arbeitsplatz
(Autor: Carmen Molitor)