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Wie malt ein blinder Maler?

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Das Logo der Ausstellung: die Aufschrift "ART BLIND" mit weißen, unregelmäßig verteilten Buchstaben auf schwarzem Grund

Eine Kölner Ausstellung zeigt Arbeiten von 16 blinden und sehbehinderten Künstlern und stellt die visuelle Wahrnehmung damit radikal in Frage.

Gibt es Musik, wenn man sie nicht hören kann? Existieren Bilder, wenn man sie nicht sehen kann? Lösen Farben Gefühle aus, wenn man den Unterschied von Rot und Grün nie erlebt hat?
Es ist die denkbar radikalste Fragestellung zur Kunst. Und es ist kein Wunder, dass sie bei "Sommerblut" in Köln gestellt wird. Denn das "Festival der Multipolarkultur" steht für das Aufbrechen selbstverständlicher Wahrnehmungsweisen wie kaum ein anderes. In diesem Jahr gehört zum Programm die Ausstellung "art blind", in der 16 blinde und sehbehinderte Künstler aus neun Ländern ihre Arbeiten zeigen. Skulpturen, Installationen, die mit anderen Sinnen zu erfassen sind. Aber auch Zeichnungen und Malerei, die keine haptische Struktur als Ersatzerfahrung anbieten.

Zeichnen ohne Blick

Eckhard Seltmann war Kunstlehrer. 1989, mit Ende 30, ist er vollständig erblindet. "Danach ging jahrelang nichts mehr, ich habe mich ganz aufs Schreiben verlegt", erzählt er. Die neue Partnerin, die er nach der Erblindung fand, ermutigte ihn, wieder die Stifte in die Hand zu nehmen. Seltmann, der neben Kunst auch Industriedesign studiert hatte, empfand nach wie vor keinen Impuls, zu Meißel und Hammer zu greifen. "Mich hat immer das Zeichnen gereizt, und so ist es bis heute."
"Krikel-Krakel" nennt er seine Zeichnungen selbst. Eine Art Schablone hilft ihm beim Aufbau des Bildes. Seltmann staunt darüber, wie oft sich die Vorstellungen, die er sich von seinem Bild gemacht hat, mit den Wahrnehmungen derer decken, die sie schließlich sehen können. Und das ist eine Ermutigung. Die Kunst, die sein Leben vor der Erkrankung prägte, ist so wieder ein Teil dieses Lebens geworden.

Strenge Auswahl

In der Kölner Ausstellung werden drei seiner Bleistiftarbeiten und eine Farbzeichnung zu sehen sein. Zu sehen, oder per Audiodeskription zu erleben. Siegfried Saerberg ist Kurator des Projektes, das die Aktion Mensch mit 100.800 Euro unterstützt. Er, der selbst blind ist, ist in viele Ateliers gereist, um die Arbeiten der Künstler, die sich für die Ausstellung beworben hatten, ertasten zu können. Eine Jury entschied streng über die Auswahl unter 65 Kandidaten. "Wir wollen schon Niveau präsentieren, abstrakte Dimensionen, die über bloßes Nachbilden hinausgehen", sagt Saerberg, der hofft, dass das Kölner Projekt die Idee der Partizipation fördert. Museen, so wünscht er es sich, sollten öfter Audiodeskriptionen anbieten und das Berühren der Werke erlauben. "Die Kunst sollte zugänglicher werden. Denn viele blinde Menschen interessieren sich mehr als früher für die allgemeine Kultur und wollen wissen, was einen Rembrandt von einem Picasso unterscheidet."
Die barrierefreie Ausstellung "art blind" ist vom 17. Mai bis 16. Juni 2013 in "Kunst im Stapelhaus/ Kulturverein des BBK Köln" am Rheinufer in der Kölner Innenstadt zu erleben. Der Eintritt ist frei.


Mehr zum Thema:
Mehr Infos zur Ausstellung "art blind" beim Verein Blinde und Kunst e. V. in Köln
Das Sommerblut-Festival in Köln
Der blaue Engel wird greifbar. Ein Blogbeitrag von Ulrich Steilen über barrierefreie Führungen in der Deutschen Kinemathek in Berlin
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Kunst für alle: Auch Hände können sehen. Ein Blogbeitrag von Heiko Kunert über die barrierefreien Ausstellungen des Künstlers Horst W. Müller
Die Förderprogramme der Aktion Mensch

(Autor: Werner Grosch)


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