Trommelrhythmen, blauer Himmel und die Sonne brennt: Rund 1000 Menschen haben am Samstag in Berlin protestiert, um sich gegen eine Gesellschaft zu wehren, die ihnen beim Thema Gleichstellung ähnlich etwas vormacht wie das Wetter an diesem Tag.
Wir sind nicht in Afrika, es ist nur ein ungewöhnlich heißer Maitag in Berlin. Und wir haben zwar die Gleichberechtigung auf dem Papier, doch für viele Menschen mit Behinderung ist sie von der Realität genauso weit entfernt wie Nairobi vom Bundeskanzleramt, dort, wo die Demo begann.
Unter dem Motto "Wir sind entscheidend" haben mehrere Sozial-Verbände, unterstützt von der Aktion Mensch, dazu aufgerufen, an diesem Tag für mehr Selbstbestimmung zu kämpfen. "Es ist wichtig, dass wir uns immer wieder versammeln und Aufmerksamkeit fordern", sagt gleich zu Beginn Ilja Seifert, Bundestagsabgeordneter der Linken. Demonstranten stehen währenddessen vorm Kanzleramt und halten Plakate wie "Ich will wählen" oder "Nicht nur bei uns sparen" hoch. "Wir sind entscheidend" steht auf dem Plakat, das Jacqueline Neubert dabei hat. Sie ist Werkstattrat bei SPEKTRUM NetzWerk und nimmt an der Demo teil, weil sie eine gerechte Bezahlung für Menschen fordert, die in Werkstätten arbeiten. "Jeder sagt, Behinderte sollen sich nicht wie zweite Klasse fühlen", regt die Demonstrantin sich auf. "Aber wir werden so behandelt".
"Ein gutes Leben für Menschen mit und ohne Behinderung"
Doch gleich auf dem Marsch zum Brandenburger Tor, wo die Abschluss-Kundgebung stattfinden wird, da verschwindet das Ausgegrenzt-Werden für ein paar Minuten. Da reihen sich die Touristen am Wegesrand auf und zücken ihre Fotoapparate. Dem Protestzug voraus schwingt eine junge Demonstrantin ihre Hüften zu den Rhythmen der Trommler-Gruppe "Afroka", und hinter ihr bricht Ilja Seifert durchs Mikrofon hindurch das Ziel des Protests auf eine schlichte Formel herunter: "Wir wollen ein gutes Leben, für Menschen mit und ohne Behinderung."
Wie dieses gute Leben aussehen könnte, davon sprechen die Redner und Rednerinnen bei der zweistündigen Kundgebung vor dem Brandenburger Tor. Christina Marx von der Aktion Mensch erzählt, dass Menschen mit Behinderung ihr Leben als fremdbestimmt empfinden. "Das wollen wir ändern", sagt sie und spricht eine Thema an, das ihr im Wahljahr besonders wichtig ist: Politische Partizipation. "Fragen Sie nach", rät sie den Zuhörern, "ob ihr Wahllokal barrierefrei ist", um kurz darauf von einer Umfrage zu erzählen, wonach nur zehn Prozent der Wähler mit Behinderung sicher seien, dass ihr Wahllokal frei für sie zugänglich sei.
Forderungen und Kritik an Politik und Gesellschaft
Ein gutes Leben, das ist für Silvia Schmidt von der Initiative "Daheim statt Heim", das Recht auf selbstbestimmtes Wohnen. "Persönliche Assistenz statt Heim" ruft sie in die Zuschauermenge. Ein gutes Leben, das ist für Andreas Vega von der Interessenvertretung "Selbstbestimmt Leben in Deutschland" die Möglichkeit, eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu finden, und für Gotthilf Lorch, Contergan-Opfer, ein bundesweites Teilhabegesetz, "unabhängig von Vermögen und Einkommen".
Für jede Forderung, für jede Kritik an Politik und Gesellschaft spenden die Demonstranten heftig Applaus. Als die Veranstaltung zu Ende ist, brennt die Sonne immer noch. Berlin, Anfang Mai, es ist heiß: Realitäten können sich ändern.
Linktipps:
Mehr Infos zum Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung am 5. Mai 2013
Wo findet wann welche Aktion statt? Der Aktions-Finder der Aktion Mensch für den 5. Mai 2013
(Autor: Wiebke Schönherr)