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Barrierefreies Bauen und Wohnen

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Ein Rollstuhl ist von hinten zu sehen, der über Kopfsteinpflaster fährt.

Kein Designtrend, sondern eine städtebauliche Gesamtaufgabe: In Hamburg-Altona könnte europaweit das erste barrierefreie Stadtviertel entstehen. Doch was konkret wünschen sich die Menschen, die dort vielleicht leben werden, von einem solchen Stadtviertel? Und finden ihre Wünsche tatsächlich Gehör? Teil 2 des Berichts über das Stadtentwicklungsprojekt "Mitte Altona".
 

Wie möchte ich in Zukunft wohnen?

Ich wünsche mir eine Wohnung: stufenlos, ganz zentral in einem Stadtteil gelegen, in dem die infrastrukturellen Schwerpunkte optimal vernetzt sind, wo es kurze Wege gibt, klare Orientierungen - auch für hör- und sehbehinderte Menschen. Wo ich gleichzeitig wohne und arbeite und abends und am Wochenende ins Kino, Museum oder ins Theater gehe. Wo ich mit Freunden aus der Nachbarschaft in der Kneipe um die Ecke ein Bier trinke. Und wo ich mit unterschiedlichen Generationen und Nationalitäten gut vermischt zusammen lebe.

Mit diesem Wunsch nach Zentralisation und - baulicher und menschlicher - Nähe stehe ich nicht allein da. Denn ein Blick auf die bekannten Alterspyramiden zeigt deutlich: In der bereits beginnenden Zukunft wird der überwiegende Anteil unserer Bevölkerung ältere Menschen sein. Dadurch wird sich das gesellschaftliche Zusammenleben grundsätzlich ändern und unseren urbanen Raum prägen und maßgeblich bestimmen. Schon heute gibt es Überlegungen und Projekte, um diesen Prozess zu gestalten.

Chance auf erstes barrierefreies Stadtviertel in Hamburg-Altona

So soll in Hamburg-Altona, mitten im Herzen Hamburgs, auf dem Gelände des ehemaligen Altonaer Güterbahnhofs ein neuer Stadtteil entstehen: die Mitte Altona. Dieses Projekt eröffnet die Chance, einen neuen Stadtteil sozial und nachhaltig zu entwickeln - eine Herausforderung für die Stadtplanerinnen und Stadtplaner ebenso wie für die Bürgerinnen und Bürger. Immerhin sollen auf dem Areal einmal bis zu 3.500 Wohnungen gebaut werden.

Fragt man Hamburger Bürgerinnen und Bürger, wie ihrer Meinung nach ein barrierefreier Wohnraum aussehen sollte, so wird klar, dass das Anforderungsprofil der Bevölkerungsmehrheit sich erstens auf die Erreichung wesentlicher täglicher Ziele (Wohnen, Arbeiten, medizinische Versorgung, Dienstleistung und Kultur) als Hauptanforderung konzentriert. Und zweitens, dass diese Ziele überwiegend fußläufig oder mit Gemeinschaftstransportmitteln - aber im Wesentlichen fußläufig - erreicht werden müssen. Die räumlichen Entfernungen zwischen einem Start- und einem Zielpunkt sind für die Bewohner ein wesentliches Kriterium für ihre persönliche Lebensqualität.
"Wichtig ist dabei auch die Qualität der Gehwege", betont Uwe Klees. "Als Rollstuhlfahrer ist es für mich schwierig, über das jetzt vielerorts verlegte Kopfsteinpflaster zu fahren. Das gilt gleichermaßen für ältere und gehbehinderte Menschen mit Rollatoren, Mütter mit Kinderwagen. Da wünsche ich mir einen zumindest 1,20 Meter breiten glatten Plattenweg. Außerdem sollten alle Cafés, Geschäfte, Banken und andere öffentlichen Gebäuden ohne Treppen und steile Rampen zugänglich sein." Und Ines Helke, Erste Jugendgruppenleiterin im Bund der Schwerhörigen e. V. und selbst an Taubheit grenzend schwerhörig, fügt hinzu: "Der Bahnhof Altona sollte zu hundert Prozent barrierefrei sein, damit sinnesbehinderte Menschen sich selbstständig orientieren können. Der Fahrplan sollte in Leichter Sprache dargestellt werden, so dass auch Menschen mit kognitiver Einschränkung Zugang zu Informationen bekommen."

Alle an einen Tisch bringen

Das Projekt Q8, eine Initiative der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, soll dabei helfen, die Anforderungen der Menschen an ein selbstbestimmtes Leben im Stadtteil umzusetzen. Die 8 steht für acht Lebensbereiche, die für ein funktionierendes Zusammenleben im Quartier wichtig sind: Wohnen & Wohnumfeld, Gesundheit & Pflege, Assistenz & Service, Bildung & Kunst und Kultur, Arbeit & Beschäftigung, die lokale Ökonomie, Kommunikation & Partizipation sowie Spiritualität & Religion. Dazu hat Q8 das Forum "Eine Mitte für Alle" gegründet, das für dieses Stadtviertel Ziele und konkrete Vorschläge erarbeitet hat, wie eine inklusive Stadtentwicklung aussehen könnte. Q8 moderiert und unterstützt dieses Forum und lädt regelmäßig zu öffentlichen Diskussionen ein.

Auf Einladung der Stadt Hamburg haben in den vergangenen Monaten mehrere Beteiligungsveranstaltungen zur Gestaltung des Stadtteilparks Mitte Altona stattgefunden. In Workshops konnten Kinder und Jugendliche von den umliegenden Schulen, Menschen mit Behinderungen, mit Migrationshintergrund, direkte Anwohner von Mitte Altona, Senioren oder auch Kunst- und Kulturschaffende ihre spezifischen Wünsche, Anregungen und Ideen in den Planungsprozess mit einfließen zu lassen. Im Januar diskutierten dann 120 interessierte Altonaer die wichtigsten Fragestellungen zur Parkgestaltung. Einigkeit herrschte dabei vor allem darin, dass im Zentrum des Parks eine große Wiese entstehen soll, die die Menschen für verschiedenste Dinge nutzen können. In einem freiraumplanerischen Wettbewerb sollen die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung nun Berücksichtigung finden.

Der Stand der Dinge

Doch was sagt die Politik? Die Bezirksversammlung Altona hatte im August 2012 einstimmig die Empfehlung an den Hamburger Senat beschlossen, die Ziele des Forums "Eine Mitte für Alle" zur inklusiven Gestaltung der "Mitte Altona" in den Planungsprozess aufzunehmen und umzusetzen. Das Hamburger Parlament wollte sich diesem ausdrücklichen Votum der Bezirksversammlung noch nicht anschließen. Dennoch bekundeten die Parteien das Interesse an barrierefreier und inklusiver Stadtplanung.
Jetzt geht es um die so genannten "Abwendungsvereinbarungen", denn das Gebiet gehört zu 100 % privaten Unternehmen, nicht der Stadt. Die Stadt Hamburg schließt in diesen Vereinbarungen mit den Grund-Eigentümern einen Vertrag darüber, was zu deren Aufgaben gehört. Werden sich beide Seiten nicht einig, könnte die Stadt das Gebiet selbst kaufen und müsste es zu den geforderten Bedingungen selbst entwickeln. Die Ergebnisse dieser Verhandlungen werden der Hamburger Bürgerschaft und der Öffentlichkeit in den nächsten Monaten präsentiert. Die Stadt verhandelt unter Ausschluss der Öffentlichkeit, Zwischenergebnisse sind bisher nicht bekannt. Sicher aber ist, dass Inklusion in den Verhandlungen bereits Thema ist.

Es bleibt spannend, wie Hamburg die Chance inklusiver Stadtentwicklung nutzen wird. Immerhin hat das Thema Inklusion als Perspektive für alle Menschen inzwischen viele Köpfe und Herzen erreicht und ist aus der Hamburger Stadtplanungsdiskussion nicht mehr wegzudenken.


Weitere Informationen / Mehr zum Thema / Linktipps:
Das Forum "Eine Mitte für Alle" des Projekts Q8
Mehr Infos über barrierefreie Stadtplanung bei der Aktion Mensch
Mehr zum Thema barrierefreies Wohnen beim Familienratgeber
Aktion Mensch-Umfrage zu Barrierefreiheit: 1. Platz für München. Ein Blogbeitrag über die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage zum Thema "Wie barrierefrei ist meine Stadt?"
Wie in einer großen Familie. Teil 1 des Berichts von Margit Glasow über das Stadtentwicklungsprojekt "Mitte Altona"

Blick ins Plenum bei einer Veranstaltung: Viele Menschen sitzen in Stuhlreihen. 

(Autor: Margit Glasow)


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