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Auftrag der besonderen Art

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Ein Künstler sitzt im Atelier an einem Tisch und arbeitet.

Im Atelier Goldstein können Menschen mit Behinderung ihre künstlerische Begabung ausleben. Zwei Tage pro Woche arbeiten sie hier statt in der Werkstatt - auf höchstem Niveau. Deshalb haben sie nun einen besonderen Auftrag erhalten: die Ausgestaltung einer Kirche im Rheingau.

Endlich sind sie in der Kirche angekommen: der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Filigran gezeichnet auf leuchtend orangefarbenem Glas. Jesus am Kreuz, mit Dornenkranz und einem lilafarbenen Tuch um die Hüften. Gott, ganz in Gelb, streckt die rechte Hand zum Segen aus. Seine Linke hält die Bibel, und da, eine dritte Hand hängt ihm über die Schulter, wie ein Schal. Zu seinen Füßen ein kleines Wesen, es gleicht einem Kuscheltier, nicht besonders heilig sieht es aus.

Raum und Ruhe

Andreas Skorupa heißt der Künstler, der dieses Dreifaltigkeitsfenster entworfen hat. Er ist einer von 16 Menschen mit Behinderung, die im Atelier Goldstein in Frankfurt ein künstlerisches Zuhause gefunden haben - einer von 16 Frauen und Männern, die sich seit über einem Jahr mit der Gestaltung der Kirche Marienhausen auseinander setzen. Einige sind Autisten, andere haben das Down-Syndrom oder eine Lernbehinderung. Hier haben sie Raum und Ruhe, sich auszuleben und weiter zu entwickeln. Hier verdienen sie sich, ergänzend zu drei Werkstatt-Tagen, einen Teil ihres Monatslohns.

Kunst sichtbar machen

Seit 2001 gibt es das Atelier Goldstein, auf Initiative der früheren Bühnenbildnerin Christiane Cuticchio wurde es als eine Einrichtung der Lebenshilfe Frankfurt am Main gegründet. Sie sowie acht Kunstpädagogen und Kunsthochschulabsolventen unterstützen die Künstler bei der Arbeit und bemühen sich darum, deren Kunst nach außen hin sichtbar zu machen. In vielen Ausstellungen inner- und außerhalb Deutschlands waren die Werke mittlerweile zu sehen - und die Gestaltung des Kirchenraums ist auf dem "Weg nach draußen" ein wichtiger Schritt.

Begegnungszentrum für alle

Der Auftrag dazu kommt vom St.Vincenzstift Aulhausen, einem sonderpädagogischen Zentrum für einige hundert Menschen im Rheingau. Für Schule, Wohngruppen und Werkstätten nutzt das Stift die Gebäude eines früheren Zisterzienser-Klosters. Die dazugehörige Kirche Marienhausen soll nun zur Öffnung des Stiftes beitragen, indem sie in ein geistliches und kulturelles Begegnungszentrum für Menschen mit und ohne Behinderung verwandelt wird. Die Eröffnung ist für 2014 geplant.
Ein besonderer Auftrag, nicht nur wegen des üppigen Budgets: Allein für die Kunstwerke haben das Bistum Limburg und private Spender 160.000 Euro bereit gestellt; die Aktion Mensch unterstützt die kunstpädagogische Arbeit im Atelier Goldstein mit 130.000 Euro. Es ist vor allem ein besonderer Auftrag, weil die Goldstein-Künstler eher intuitiv als auf Ansage arbeiten, und weil nicht alle einen Zugang zu religiösen Themen haben.

Jeder auf seine Art

Lange bevor sich die Künstler an die Entwürfe für die Fenster, die Jesus-Skulptur im Altarraum, das Madonnen-Mosaik in der Fürbitten-Nische und die Engel-Silhouette im Boden machten, tüftelte die Spitze des St.-Vincenzstifts gemeinsam mit der Atelierleitung ein gestalterisches Konzept aus, das sich um vier Leitfragen dreht: "Wer bin ich? Wo komme ich her? Warum bin ich da? Wo will ich hin?"
Diesen Fragen (und möglichen Antworten) haben die Mitarbeiter anschließend in den Werken der Künstler nachgespürt. Denn jeder von ihnen hat seine Themen - von bevorzugten Techniken und persönlichem Stil einmal abgesehen. Alles zusammen war ausschlaggebend für die Entscheidung, wer welchen Part in der Kirche übernimmt. Gemeinsam ist den Künstlern eine ganz eigene Art, Bildvorlagen umzusetzen, die ihnen die Goldstein-Mitarbeiter an die Hand geben. Wie Andreas Skorupa, der für sein Dreifaltigkeitsfenster ein klassisches Gemälde von Gottvater, Sohn und dem Heiligen Geist neu interpretiert hat.


Linktipps:
Das Atelier Goldstein in Frankfurt
Aktion: Die Lebenshilfe Frankfurt am Main verkauft derzeit 50 von den Goldstein-Künstlern übermalte Baupläne, um den Aufbau des inklusiven Wohn-, Arbeits- und Begegnungsortes Gut Hausen zu finanzieren
Reportage aus dem Atelier Goldstein, erschienen in MENSCHEN.das magazin 1/2013
Ich male, also bin ich. Ein Blogbeitrag von Margit Glasow über das Malen durch Gedanken
Street Art zum Anfassen. Ein Blogbeitrag von Stefanie Wulff über "Brailletags", ein haptisches Graffiti der anderen Art
"Ich sehe was, was du nicht siehst". Ein Blogbeitrag von Ulli Steilen über eine Kölner Ausstellung von Künstlern mit und ohne Behinderung

Ein von den Künstlern gestaltetes Kirchenfenster. Ein Künstler arbeitet im Atelier. Die Atelier-Leiterinnen Christiane Cuticchio und Melanie Schmitt  Eine Frau mit Behinderung malt mit einem Pinsel an einer großen Wand. 

(Autor: Eva Keller)


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