"Berührungsängste nehmen und Brücken bauen", so lautete die Absicht der Veranstalter von "Ich sehe was, was du nicht siehst - Kunst in ihrer Vielseitigkeit", am 16. Februar in Köln. Eine Ausstellung von Künstlern mit und ohne Behinderung. Ich bin in den Kulturbunker in Köln-Mühlheim eingedrungen, um zu erfahren, ob die Ausstellung einlösen konnte, was die Macherinnen auf ihrer Facebook-Seite versprochen hatten: "Wir wollen der Inklusion Antrieb geben."
Kulturbunker - der Name ist Programm: ein ehemaliger Luftschutzbunker mit großem Treppenhaus und weiten Fluren. Viel Stein, mächtige Mauern. Die Wände weiß gestrichen. In der ersten Etage vor dem Eingang zur Ausstellung hängt ein weißer Schriftzug vor schwarzem Hintergrund: "Zeig mir, was du siehst!" Ich betrete die Ausstellungsräume und verspüre einen Hauch von Documenta-Atmosphäre. Moderne Kunst, zu einer Installation aufgetürmte alte Fernseher, Schmuck, Collagen und Gemälde an den Wänden. Und viele Menschen. Das Publikum ist bunt gemischt: Kinder, Jugendliche, junge Familien und ältere Menschen. Einige in Rollstühlen. Schätzungsweise ebenso viele Besucher mit Behinderung wie ohne.
So viel Kunst bleibt unentdeckt
Ich komme kurz mit Rainer ins Gespräch. Es gefalle ihm sehr gut hier, erzählt mir der etwa 50-jährige, hoch aufgeschossene Mann, der in Köln-Chorweiler in einem Wohnheim für Menschen mit geistiger Behinderung lebt. "Auf die Band heute Abend bin ich besonders gespannt", sagt er noch, bevor er sich den beiden jungen Damen zuwendet, die neben uns auf der Bank Platz genommen haben.
Im nächsten Raum, den ich betrete, bleibe ich vor einer Videoinstallation stehen. "Frau Holle" als Theaterstück wird von einem Beamer auf die Wand geworfen. Thomas Kahlix, der den Beamer bedient, berichtet mir von der Theatergruppe "Deaf 5" (Deaf 5 = fünf "Taube"). 2006 habe die Gruppe zusammengefunden, fünf gehörlosen Schauspieler/innen und eine hörenden Regisseurin. Das zunächst reine "Gehörlosentheater" für gehörlose Zuschauer bestehe heute aus sieben gehörlosen und vier hörenden Schauspieler/innen. "Deaf 5" bearbeitet klassische Märchen und bringt diese gemeinsam in Gebärdensprache und Lautsprache auf die Bühne.
In die Fantasiewelt eintauchen
Ich schlendere weiter und treffe auf Anna Malangré, Carolin Vorholt und Ina Schulte-Krumpen. Die drei jungen Frauen haben die Ausstellung im Rahmen ihrer Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin am Erzbischöflichen Berufskolleg Köln organisiert. "Unser Anliegen ist es, die Kunst in den Vordergrund zu stellen und nicht die Behinderung", erklären sie mir. "Es gibt so viel Kunst in Behindertenwerkstätten, die wird von der Öffentlichkeit gar nicht wahrgenommen", meint Anna. "Beispielsweise die Schmuckmanufaktur von den Caritas-Werkstätten, die in unserer Ausstellung auch zu sehen ist."
Geschichten über das Leben
Kooperationspartner der Ausstellung, die auch von der Aktion Mensch mitfinanziert wird, ist die Lebenshilfe Köln. Deren Mitarbeiterin Simone Kirsch ist ebenfalls mit ihren bunten Collagen auf der Ausstellung vertreten. Die Kölner Künstlerin arbeitet gerne in Serien. Ihre Bilder erzählen kleine Geschichten über das Leben und die Menschen darin.
Es gibt noch manches zu entdecken an diesem Nachmittag bei "Ich sehe was, was du nicht siehst": eine Installation im "Dunkelraum", bei der auf Masken Gesichter projiziert werden und einen Monolog halten, die Fotos einer Fotografin aus der Behindertenwerkstatt, Pop-Art-Bilder, Malerei.
Mehr als ein Hobby
Die eindrucksvollste Begegnung aber ist für mich eine, die nicht wirklich stattfindet. Nämlich die mit Robert Trutnau. Auch er lebt in dem betreuten Wohnheim in Köln-Chorweiler. Robert Trutnau malt - fantastische Bilder, wunderschön in Form und Farbe. Als ich vor ihnen stehe und in seine Fantasiewelt eintauche, hat der Künstler den Kulturbunker bereits verlassen. "Ihm war das einfach zu viel hier, zu viele Menschen und zu laut", erzählt mir Roberts Mutter, die den Besuchern die Bilder ihres Sohnes näher bringt. Roberts Bilder sind kraftvoll und sehr bunt, bilden Erlebtes ab oder Szenen aus Geschichten und Märchen wie "Aladin und die Wunderlampe". "Das Malen hilft ihm, Situationen und Vorgänge zu beschreiben, die er mit Worten nicht so gut erklären kann. Für ihn ist Malen mehr als ein Hobby", sagt seine Mutter.
Bevor die Musikband "Kabelsalat" am Abend ihre Verstärker einstöpselt, verlasse ich den Kulturbunker. Ich hatte einen beeindruckenden Nachmittag, ein facettenreiches Kunsterlebnis sowie Begegnungen und Gespräche mit tollen Menschen - mit und ohne Behinderung. "Ich sehe was, was du nicht siehst", lautete der Titel des Ausstellung. Hoffentlich findet sie Nachahmer, denn so etwas würde ich gerne öfter sehen!
Mehr Infos und Linktipps:
Die Ausstellung "Ich sehe was, was du nicht siehst" auf Facebook
Ich male, also bin ich. Ein Blogbeitrag von Margit Glasow über das Malen durch Gedanken
Kunst für alle: Auch Hände können sehen. Ein Blogbeitrag von Heiko Kunert über die barrierefreien Ausstellungen des Künstlers Horst W. Müller
Street Art zum Anfassen. Ein Blogbeitrag von Stefanie Wulff über "Brailletags", ein haptisches Graffiti der anderen Art
(Autor: Ulrich Steilen)