In Dortmund fand am Wochenende "BÄÄM! Der Deaf Slam" statt. Am inklusiven Workshop und Poetry Slam-Wettbewerb im Kino Sweet Sixteen nahmen hörende und gehörlose teil und brachten mit ihren Gebärden lustige und nachdenkliche Geschichten auf die Bühne. Gewonnen hat Pia Katharina Jendreizik.
Sie strahlt, ihr Lächeln wird immer breiter, ihre Freude und ihre Überraschung sieht jeder der etwa 100 Besucher im Dortmunder Kulturzentrum Depot: Pia Katharina Jendreizik hat "BÄÄM. Der Deaf Slam" gewonnen - den Dichterwettstreit, der im Rahmen des inklusiven Filmfestivals "überall dabei" in fünf Städten stattfindet. Dass sie nun nach Hamburg zum Finale fährt und dort, um eine Reise nach New York kämpft, kann sie am Ende noch gar nicht so richtig fassen.
Zehn hörenden und gehörlosen Teilnehmer sind am Sonntagabend auf die Bühne getreten. Haben mit ihren Gesten und Gebärden in den Raum gegriffen, mit ihrer Mimik ihre Geschichte erzählt und so sich und das Publikum begeistert. Den Abend angeheizt hat der Gastauftritt von Poetry Slammer Jan Philipp Zymny - mit einer Geschichte über die Auswegslosigkeit in einem schwedischen Möbelhaus. Das Publikum kann dabei den Aufritten folgen - ob in Lautsprache oder Gebärdernsprache, denn Gebärdensprachdolmetscher sorgen in jeder Stadt für einen barrierefreien Deaf Slam. Die hörenden Zuschauer klatschen noch zu Beginn, im Laufe des Abends schütteln sie die Hände in der Luft - das Zeichen der Gehörlosen für Applaus und Begeisterung.
Pia hat ihre Geschichte "Deaf Stern" genannt. Sie thematisiert darin die Identität der Gehörlosen und damit auch ihre eigene Identität. In ihrer Geschichte entzündet sie Sterne neu, denn diese symbolisieren darin Bildung und Kultur. Sie greift dabei in die Luft, nutzt den Raum auf der Bühne und bewegt sich vor und zurück. Pia gelingt es, ihre Geschichte fassbar zu machen und in die dritte Dimension zu tragen. Geholfen hat ihr auch ihre Erfahrung mit Theater und Poesie, und damit aufzutreten.
Das Depot
Den Auftritt besonders macht aber noch etwas ganz anderes besonders: die Umgebung. Denn das Depot war von 1915 bis 1995 die Hauptwerkstatt der Dortmunder Straßenbahnen. Der Industriecharme der großen Halle färbt auf den Deaf Slam ab - kein Hochglanz, keine Café-Heimlighaftigkeit, dafür ein Ort der Kultur und des Kreativen. Denn im Depot arbeiten Künstler in ihren Ateliers, es gibt ein Theater eine Weiterbildungseinrichtung oder auch ein Gaststätte. All das umgeben von der Arbeitertradition der Halle.
Und gearbeitet haben die Teilnehmer die Stunden und den Tag bereits viel geleistet, wie Workshopleiterin Simone Lönne immer wieder betont und die jungen Menschen lobt. Für deren Ergeiz, Mut und auch dafür, dass sie in so kurzer Zeit, so viel geleistet hätten. Mit Poetry Slammer Wolf Hogekamp hat sie in die Poesie der Gebärdensprache eingeführt. Wie sich Regentropfen gebärden lassen, wie sich ein Scheißtag auf der Bühne performen lässt oder das Surfen im Wellentunnel.
Das Sweet Sixteen
Dass der Deaf Slam-Workshop im Sweet Sixteen-Kino stattgefunden hat, ist da nur passend. Denn die Vielfalt, die BÄÄM und auch das Filmfestival transportieren, die verfolgt auch das Programmkino, das im ehemaligen Reparaturlager der Hauptwerkstatt liegt. Peter Fotheringham (53) führt das Kino mit Susanne Solbach und Johanna Knott. Seit 20 Jahren arbeitet er in der Kinobranche und hat Blütezeit der Kinos in Dortmund miterlebt, als es noch mehr als 100 Kinos in der Stadt gab.
Sweet Sixteen ist eigentlich ein Verein und die Idee dahinter war: "Mehr zu sein, als ein reines Abspielhaus", sagt Fotheringham. Den fünf damaligen Gründer war das sonstige Kinoprogramm in der Stadt zu kommerziell. Zudem verschwanden immer mehr Kinos und die Filmkultur ging verloren. Wenn Fotheringham davon erzählt oder von der Zeit, als die Verinsgründer mobiles Kino veranstaltet haben, merkt man ihm die Leidenschaft für das Kino an. Seine Kollegen und er machen immer noch alles selbst: Grafik, Programmplanung, Buchhaltung, Service oder Technik. Er profitiert dabei gewiss auch von seiner Berufserfahrung, die ebenso vielfältig ist, wie das Programm im Kino. Hat er doch als Caterer gearbeitet, als Kaufmann, hat studiert, war Hausmann und natürlich immer wieder - im Kino. Seine erste Erinnerung an diesen magischen Ort hat er natürlich sofort parat: Er war fünf oder sechs Jahre alt bei seinem ersten Kinobesuch, es wurde Godzilla gezeigt in einem Kino, das heute nicht mehr existiert. "Es war voll und die Kinder haben alle gekreischt und geschrien - es war großartig", erzählt der Mann mit den langen grauen Haaren lachend.
Vielfalt und ständiger Wechsel
2009 begann im Sweet Sixteen der Regelbetrieb und damit auch ein ausgewähltes Rahmenprogramm - ob mit Themenabenden, ausgewählten Gäste passend zum Film oder zusätzlichen Veranstaltungen. Die Liebe zum stimmigen großen Ganzen, spürt man beim Sweet Sixteen. Ob nun das Kinderkino "Schokokuss und Brause", für das der Kinomann Waffeln backt, oder das "Kinderwagenkino" für junge Eltern, die ihren Nachwuchs mitbringen können. Lustig bis skurril sind die Abende, wenn Fotheringham alte Lehrfilme zeigt, die das Publikum zuvor ausgewählt hat. So hat sich das Sweet Sixteen über die Jahre Rang und Namen erarbeitet und hält inzwischen gute Kontakte zu den Verleihern - in Zeiten von Multiplex-Kinos immens wichtig. Mit dem Ergebnis, dass sich das Programmkino im Depot "als Erstveröffentlichungshaus versteht", wie Fotheringham sagt. Und: "Wir machen es anders als andere". Damit meint er sowohl die Filmauswahl, als auch den strengen und regelmäßigen Filmwechsel alle zwei Wochen. "Wir wollen möglichst viele Filme zeigen", erläutert der gebürtige Dortmunder. Und so ist es nur stimmig, wenn das Filmfestival der Aktion Mensch ab 25. April Station im Sweet Sixteen macht und das vielfältige Programm mit sechs Spiel- und Dokumentarfilmen ergänzt.
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(Autor: Timo Klippstein)