![Die Teilnehmer und der Moderator der Podiumsdiskussion sitzen in einer Reihe an Tischen.]()
Ist
ABA„Umerziehung“ oder „Vermittlung lebenspraktischer Kompetenzen“? In den letzten Wochen entwickelte sich in den sozialen Netzwerken eine kontroverse Diskussion über Therapieangebote für Kinder mit frühkindlichem Autismus, die sich an
ABA (Applied Behaviour Analysis) orientieren.
Dabei handelt es sich um ein Förderprogramm, das auf der Analyse des Verhaltens aufbaut und Eltern stark in die Therapie miteinbezieht. Die Kritik der ABA-Gegner richtete sich auch an die Aktion Mensch, die ein ABA-basiertes Projekt, das „Bremer Elterntraining“ (BET), fördert.
Uns ist sehr an einer Versachlichung der Diskussion und einem offenen Austausch der Positionen gelegen. Daher haben wir am gestrigen Donnerstag die Vertreter der unterschiedlichen Ansätze – Menschen mit Autismus, Therapeuten, Eltern, Mediziner und Wissenschaftler – zur Aktion Mensch eingeladen, um über Pro und Contra von ABA zu sprechen. Unser Ziel war, mit einem Fachgespräch eine Plattform für die direkte Kommunikation zu bieten – anstatt in Netzwerken und Blogs unter sich zu bleiben.
Wir haben ein engagiertes und differenziertes Gespräch erlebt, in dem Argumente ausgetauscht und Bedenken formuliert wurden. Vorstand Armin v. Buttlar formulierte als erstes Fazit: „Es ist positiv, dass wir miteinander und nicht übereinander geredet haben. Wir haben gesehen, dass es weniger Schwarz und Weiß gibt, sondern viele Grautöne.“
Die drei Experten auf dem Podium haben im Anschluss an die Veranstaltung ihre Position kurz zusammengefasst und ihre Einschätzung des Gesprächsergebnisses formuliert. Eine tatsächliche Annäherung der Positionen hat nicht stattgefunden, aber man hat sich gegenseitig zugehört und vielleicht den Anstoß für eine weitergehende Auseinandersetzung mitgenommen.
Wolfgang Rickert-Bolg, Diplom-Psychologe und Psychotherapeut, Leiter des Autismus-Therapiezentrums Osnabrück, und Mitglied der Fachgruppe Therapie von autismus Deutschland e.V.:
„Für mich ist ABA nicht menschenrechtswidrig und kann bei Kindern mit starker Ausprägung der Störung sehr hilfreich sein. Aber ich habe auch Kritik und erlebe, dass die Eigenständigkeit der Betroffenen in der Praxis oft zu wenig beachtet wird. Die Grundregeln von Therapie sollten immer ein partizipativ sein: So viel äußere Struktur wie nötig, so viel Selbstbestimmung wie möglich. Es ist unverzichtbar, die Eltern bei der Verarbeitung der Behinderung ihres Kindes zu begleiten.
Die Kritik der Betroffenen, die Herr Knauerhase eingebracht hat, ist für mich insofern nachvollziehbar, als in der Praxis immer wieder eine einseitige Anpassung an die Regeln der Gesellschaft betrieben wurde und wird. Autistisches Verhalten ist eine Anpassungsleistung, deren Sinn verstanden werden muss, um dann wo nötig mit dem Betroffenen produktivere Strategien zu entwickeln. Die einseitige Anpassung der Gesellschaft an die Vorstellungen der Betroffenen kann aber auch nicht die Lösung sein.
Mein Fazit ist zwiespältig: Ich fand es gut, dass die Aktion Mensch die Gelegenheit geschaffen hat, ins Gespräch zu kommen. Eine Annäherung habe ich aber nicht erlebt. Die Macht der Polarisierung war offenbar zu stark.“
Aleksander Knauerhase, Dozent zum Thema Autismus, Autist und Blogger:
„ABA und daran angelehnte Therapieverfahren bedeuten für autistische Kinder eine andauernde Konditionierung, mindestens 20 Stunden pro Woche bis zur gesamten Wachphase des Kindes. Eltern kommen als 'Co-Therapeuten' zum Einsatz. Therapiert wird vor allem im Zuhause des autistischen Kindes. Das Kind verliert die Eltern als neutrale und sichere Bezugspersonen und gleichzeitig seinen sicheren Rückzugsort.
Diese Therapieformen beruhen auf dem Menschenbild, das Autisten defekt seien und ihr 'gelerntes autistisches Verhalten vergessen und ein neues Verhalten erlernen' sollten. Autisten sollen auf eine nicht-autistische Verhaltensweise umerzogen werden. Mögliche negative Auswirkungen auf die Psyche der Autisten werden nicht untersucht. Als Autist und Inklusionsbotschafter kann ich diese Umstände nicht gut heißen. Ich spreche mich daher gegen ABA aus.
Mein Fazit zur Veranstaltung: Der Zweck heiligt nicht die Mittel.“
Claus Lechmann, psychologischer Psychotherapeut und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut, Leiter des AutismusTherapieZentrums Köln, das eine eigene ABA-Abteilung hat, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von autismus Deutschland e.V.
„Fördermethoden für autistische Kinder, bei denen eine empirische Wirksamkeit nachgewiesen werden konnte, basieren fast ausschließlich auf verhaltenstherapeutischen bzw. ABA-Methoden.
Die Kritik am ABA-Ansatz kumuliert in dem Vorwurf, hier gehe es um eine Umerziehung ähnlich wie früher bei Linkshändern. Dieser Vergleich missachtet aus meiner Sicht die extreme Not von Kindern mit frühkindlichem Autismus. Diese Kinder sind in ihren sozial-kommunikativen Fähigkeiten meist so eingeschränkt, dass sie basalste menschliche Bedürfnisse nicht befriedigen können. Umso mehr sind sie und ihre Eltern auf wirksame Hilfe und Unterstützung angewiesen. Ein Vergleich zwischen Umerziehung bei Linkshändigkeit und systematischer Förderung nach ABA zum Aufbau wichtiger Fähigkeiten erscheint mir daher unpassend.
Jede Therapiemethode muss und soll es sich gefallen lassen, auf dem Prüfstand zu stehen. Gerade die Vielfältigkeit in der Art der Anwendung von ABA-Methoden verhindert aber eine pauschalisierte Beurteilung. Im Vergleich zu vielen anderen Ansätzen kümmert sich die ABA-Community aber um eine ständige Verbesserung, empirische Überprüfung und Anwendung ethischer Standards. Gerade die ethischen Standards sollten überall Anwendung finden, um insbesondere bzgl. der Ziel- und Umsetzung der Methoden das passende Maß zu halten.
Zur gestrigen Veranstaltung: Ich halte Kommunikation über ABA-basierte Therapien, wie sie hier stattgefunden hat, auf jeden Fall für wichtig.“
Dieser Blogbeitrag gibt die Positionen von Podiumsteilnehmern aus der Gesprächsrunde wieder. Hier im Blog kann weiter diskutiert werden.
(Redaktion )