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„Ein grandioses Gefühl“

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Cybathlon

Am 8. Oktober schnuppert André van Rüschen Wettkampf-Luft. Dann nimmt er am Cybathlon in der Schweiz teil. Der Cybathlon ist der erste weltweite Wettkampf für Menschen mit körperlichen Behinderungen, die moderne technische Assistenzsysteme nutzen. Zum Beispiel bei einem Hindernis-Parcours für Träger von Exoskeletten oder bei einem Fahrradrennen mit elektrischer Muskelstimulation. Beim Cybathlon lautet das Motto aber nicht „schneller, höher, weiter“. Vielmehr geht es darum, dass Menschen mit Behinderung und dem Einsatz von moderner Technik Alltagsaufgaben meistern. In sechs Disziplinen gehen die Teams–  bestehend aus Piloten, Ingenieuren und Trainern– an den Start.

http://www.cybathlon.ethz.ch/

André steht mit Exoskelett in einem Filmstudio und klatscht sich mit einem Jungen ab.

Vielleicht kennt ihr André van Rüschen schon aus unserem Kampagnen-Film „Die neue Nähe“. André ist querschnittsgelähmt. Bei einem Autounfall brach er sich den 12. Brustwirbel, sein Rückenmark wurde durchtrennt. Trotzdem ist er seit drei Jahren wieder auf beiden Beinen unterwegs. Möglich ist das mit Hilfe eines Exoskeletts.

„Das Exoskelett ist eine motorisierte Prothese“, erklärt André. „Es ist ein Hilfsmittel für Querschnittsgelähmte, die überhaupt nicht mehr laufen können.“ Links und rechts an den Beinen sitzen Schienen, die mit Motoren und Getrieben gekoppelt sind. Am Handgelenk trägt André eine Art Armband-Uhr. Damit kann er verschiedene Programme auswählen, zum Beispiel „Aufstehen“, „Losgehen“, „Treppe auf“, „Treppe ab“ oder „Sitzen“. Erst wenn er auf der Uhr „Losgehen“ auswählt und sich dann in einem bestimmten Winkel nach vorne neigt, geht es auch wirklich los. Den Neigungs-Winkel kann er selbst festlegen. Für den nächsten Schritt beugt er sich wieder nach vorne, und so weiter. „Im Prinzip kann man es sich vorstellen wie beim Autofahren“, sagt André. „Mit der Uhr lege ich den Gang ein. Aber erst wenn ich mich nach vorne neige, also Gas gebe, macht das System den ersten Schritt.“

Der große Friese ist die ideale Testperson

Zehn Jahre saß André nach seinem Autounfall im Jahr 2003 im Rollstuhl. Während dieser Zeit hat er immer gehofft, irgendwann wieder laufen zu können. „Die Hoffnung stirbt nie“, sagt er rückblickend, „aber das war natürlich eine sehr lange Zeit.“ Dann machte er Bekanntschaft mit einer technischen Neuheit: dem Exoskelett. In einer Rollstuhl-Zeitung suchte die Hersteller-Firma „ReWalk“ per Anzeige nach Testpersonen. „Ich dachte zwar nicht, dass die mich nehmen“, erinnert sich André, „habe mich aber trotzdem per E-Mail beworben.“ André ist 1,93 Meter und wiegt 90 Kilo. Die ideale Testperson, um herauszufinden, ob das Exoskelett auch noch bei großen und schweren Menschen Leistung bringt. „Die Firma ReWalk stammt aus Israel. Die israelischen Kollegen sind eher klein und zart, eher so 1,60 Meter und 60 Kilo.“ Da kam ein großer, schwerer Friese gerade recht, um das System an seine Grenze zu führen.

André nutzt das Exoskelett täglich

 „Als ich die ersten Schritte mit dem Exoskelett machte, das war schon ein grandioses Gefühl. Emotional ist das unbeschreiblich“, erinnert er sich. Seither nutzt André das Gerät täglich. Zu Hause im Garten, zum Einkaufen oder wenn er beruflich unterwegs ist. Manchmal nur zwanzig Minuten, manchmal fast den ganzen Tag. Die Energie der Batterien reicht für vier Stunden Laufen ohne Unterbrechung. Das bedeutet in etwa eine Reichweite von zehn bis zwölf Kilometern. Das Exoskelett wiegt 27 Kilo. Davon merkt André selbst aber praktisch nichts, weil sich die ganze Apparatur selbst trägt. Wie im Film „Die neue Nähe“ zu sehen ist, kann man es frei in den Raum stellen.

Neue Wege gehen

Das Exoskelett hat Andrés Leben umgekrempelt. Jahre lang hatte er durch das Sitzen im Rollstuhl gesundheitliche Probleme: Blasenentzündung, Rückenschmerzen und Spastiken in den Beinen. Er schluckte so lange Antibiotika, bis diese nicht mehr wirkten. „Seitdem ich täglich wieder laufe, sind all diese Probleme verschwunden“, erzählt er. „Tabletten nehme ich keine mehr.“ Vor dem Unfall war André Auto-Lackierer und hat als Meister eine Werkstatt geleitet. Jetzt arbeitet er für die Firma ReWalk und stellt das Exoskelett in Kranken- und Sanitätshäusern in ganz Europa vor. Andrés Sohn kannte ihn früher nur im Rollstuhl. Für ihn ist es toll, zusammen mit seinem Vater durch die Stadt zu laufen. Und auch Andrés Frau genießt die gemeinsamen Spaziergänge und die Umarmungen auf Augenhöhe.

 

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(Ulrich Steilen)


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