Wahrscheinlich braucht es jemanden mit der Leidenschaft von Raphael Fellmer, um ein Projekt in dieser Größenordnung zu starten. Der 32-Jährige lebt seit 2010 im „Geldstreik“. Das heißt, er verdient kein Geld und gibt keines aus. Er lebt von dem, was die Überflussgesellschaft zu viel hat, und das ist eine ganze Menge. Anfangs durchsuchte er nachts noch Mülltonnen von Supermärkten, um an aussortierte Lebensmittel zu kommen. Dann kam ihm der Gedanke, dass sich dies doch auch anders organisieren lassen müsste. Er fand in Berlin eine Biosupermarkt-Kette, mit der er eine Vereinbarung traf: Jeden Tag zu einer fest verabredeten Zeit kann er oder einer seiner Mitstreiter zu einer der Filialen kommen und abgelaufene, aber noch genießbare Produkte mitnehmen. Das Unternehmen reduziert so radikal sein Müllaufkommen, die Lebensmittelretter (Foodsaver) sind mit Essen versorgt.
Verwenden, statt verschwenden
Dabei verbrauchen die Lebensmittelretter nur einen Teil ihrer Ausbeute selbst. Der größte Teil wird mit einem großen Netzwerk aus Vereinen, Tafeln, Suppenküchen, Freunden und Nachbarn geteilt. Was mit Biosupermärkten begann, umfasst heute hunderte Geschäfte und Läden in ganz Deutschland. 5.000 Abholer sind akkreditiert und werden von 300 Botschaftern koordiniert. Matthias Drabsch aus Berlin-Kreuzberg ist einer von ihnen. Der 28-jährige Projektmanager geht jede Woche bei einem türkischen Bäcker vorbei: „Dort stehen dann schon belegte Brötchen, Brote und süße Backwaren fertig verpackt bereit. Der größte Teil geht an einen öffentlich zugänglichen Kühlschrank in einem Wohnprojekt. Um den Rest kümmert sich dann meine WG oder wir Foodsaver treffen uns zum gemeinsamen Kochen.“ Die Lebensmittelretter müssen keine Bedürftigkeit nachweisen, entscheidend ist, dass sie die gemeinsame Philosophie teilen: verwenden, statt verschwenden.
Jeder kann mitmachen
Die umfangreiche Logistik ist nur möglich durch die Online-Plattform foodsharing.de, die Raphael Fellmer zusammen mit dem Programmierer Raphael Wintrich entwickelt hat. Und da nicht nur im Handel, sondern auch in jedem Privathaushalt Lebensmittel verschwendet werden, kann auf der Plattform jedermann Lebensmittel inserieren, die er nicht mehr braucht. Wer zum Beispiel in den Urlaub fährt und noch einen vollen Kühlschrank hat, listet alle Produkte in einem digitalen Essenskorb, der mit der Adresse und Kontaktmöglichkeit auf einer Karte für Abholer angezeigt wird.
300.000 LKW könnte man mit den Lebensmitteln befüllen, die jedes Jahr in Deutschland weggeworfen werden. Die freiwilligen Foodsaver sind zwar nur per Fahrrad, Handkarren oder Auto unterwegs, haben aber bei 150.000 Abholungen bereits mehrere tausend Tonnen Lebensmittel gerettet – und jeden Tag werden es mehr.
Inklusion bedeutet, dass jeder Mensch nach seinen individuellen Möglichkeiten selbstbestimmt leben und am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann. Dieses selbstverständliche Miteinander erreichen wir nur, wenn sich möglichst viele Menschen für eine inklusive Gesellschaft einsetzen und sie mitgestalten – zum Beispiel durch freiwilliges Engagement. Die Aktion Mensch bietet mit ihrer Freiwilligen-Datenbank einen Überblick über die zahlreichen Möglichkeiten: Menschen mit und ohne Behinderung können aus mehr als 13.000 Angeboten das passende Engagement auswählen.
Weitere Ideen für inklusives Engagement finden Sie in der Freiwilligen-Datenbank.
(Henrik Flor)