In Genf mit dabei war Christina Marx, Leiterin der Abteilung Aufklärung bei der Aktion Mensch. Im Interview schildert sie ihre Eindrücke.
Vorab: Wie war die Stimmung? Kam es zum vorgesehenen "Constructive Dialogue", also zum "Staatendialog" zwischen Vertragsstaat, Zivilgesellschaft und UN-Fachausschuss?
Christina Marx: Die Staatenberichtsprüfung war natürlich eine ganz besondere Situation – sowohl für die Zivilgesellschaft wie auch für die Bundesregierung. Das war die vergangenen zwei Tage spürbar. Hans-Günter Heiden von der BRK-Allianz, die die Interessen der Menschen mit Behinderung in Genf vertreten hat, hat es so formuliert: „Wir haben über drei Jahre auf diesen Tag hingearbeitet“. Das allein zeigt, welche Bedeutung diese Überprüfung für die Zivilgesellschaft hat. Und die Bundesregierung, die vor dem UN-Ausschuss Rede und Antwort stehen musste, war mit einer über 20-köpfigen Delegation angereist, darunter die Behindertenbeauftrage Verena Bentele und die Parlamentarische Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller als Delegationsleiterin sowie Mitarbeiter zahlreicher Fachministerien. Also ein wirklich wichtiges Thema für alle Seiten.
Wie ist das Zeugnis für Deutschland ausgefallen?
Zusammenfassend könnte man vielleicht sagen: Es ist schon viel passiert, aber es liegt noch ein langer Weg vor uns. Frau Lösekrug-Möller hat es in ihrem Eingangsstatement so ausgedrückt: „Wir geben uns mit dem Erreichten nicht zufrieden. Wir müssen unsere Inklusionsbemühungen fortsetzen“. Das sieht die BRK-Allianz, die hier in Genf von Dr. Sigrid Arnade vom ISL e.V. geleitet wurde, wie auch der UN-Fachausschuss naturgemäß genauso. Die internationalen Experten hatten eine Vielzahl kritischer Fragen zusammengetragen, die die Regierung nach kurzer Beratungszeit beantworten musste. Dabei waren die schulische Inklusion genauso Thema wie die Schwierigkeiten für Menschen mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. UN-Berichterstatterin Diane Kingston hinterfragte kritisch, warum weniger als einem Prozent der Werkstattmitarbeiter der Übergang auf den ersten Arbeitsmarkt gelingt. Auch die Frage der Verpflichtung zur Barrierefreiheit in der Privatwirtschaft, Wahlrecht für Menschen unter kompletter Betreuung und Disability Mainstreaming wurden aufgebracht. Und immer wieder kam die Frage nach Daten und Studien: Wissen wir eigentlich genug über die Situation und die spezifischen Lebenslagen von Menschen mit Behinderungen?
Die Bundesregierung hat 2011 einen Nationalen Aktionsplan verabschiedet. Inhalt des Aktionsplans: Maßnahmen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. War der Plan ambitioniert genug?
Ein Mitglied des Ausschusses sagte fast augenzwinkernd: „Deutschland ist eine der führenden Nationen, da ist es nicht leicht, etwas zu kritisieren“, um dann gleich eine kritische Frage zum Nationalen Aktionsplan (NAP) anzuschließen. Erstaunlich offen fiel die Antwort der Bundesregierung aus: Eine Evaluation aus dem Jahr 2013 habe gezeigt, dass es an messbaren Zielen ebenso mangele wie an der Beteiligung von Menschen mit Behinderung und einem konsequenten Monitoring. Der Aktionsplan enthält rund 200 Maßnahmen, deren Fortschritt von der Zivilgesellschaft kritisch beobachtet wird. Die BRK-Allianz ist der Ansicht, dass die Bundesregierung ihre Verantwortung zur Umsetzung der UN-BRK nur halbherzig wahrnimmt und vielfach nur auf die Bundesländer verweist. Das hat sie auch in Genf nochmal sehr deutlich gemacht.
Was wurde bisher erreicht, um die Situation von Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft zu verbessern beziehungsweise deren gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe in allen Lebensbereichen zu ermöglichen?
Seit 2009 ist einiges in Bewegung geraten. Bund, Länder und Gemeinden befassen sich mit der Zielsetzung der UN-BRK. Alle Bundesländer mit Ausnahme von Sachsen haben Aktionspläne verabschiedet. Allerdings, so die Kritik der BRK Allianz, mangelt es derzeit noch an der qualitativen Beurteilung. Die Diskussion um Inklusion besonders im Bereich Bildung und auch in Hinblick auf Inklusion am Arbeitsmarkt hat Fahrt aufgenommen. Aber es sind vor allem viele nichtstaatliche Akteure, einschließlich der Menschen mit Behinderung, die sich für die Umsetzung der Vorgaben durch die UN-BRK einsetzen. Die BRK-Allianz, ein Netzwerk von 78 NGOs hat daran einen großen Anteil.
Wie geht es nach der Staatenprüfung weiter?
Zunächst einmal muss man festhalten: Die Fragen des Fachausschusses haben von einer sehr großen Sachkenntnis gezeugt. Die Experten haben sich sehr gründlich mit der Situation in Deutschland befasst. Jetzt heißt es abzuwarten, wie die Empfehlungen, die sogenannten "concluding oberservations" für die Bundesregierung konkret aussehen. Die 18 internationalen Experten werden diese binnen 24 Stunden nach Sitzungsende formulieren. „Konkret und sehr kompakt“, wie Berichterstatterin Diane Kingston versprach. Wie die genau aussehen, werden wir wohl in rund drei Wochen erfahren.
Mehr Informationen zur UN-BRK:
Aktion Mensch – UN-Behindertenrechtskonvention
Artikel "UN-Behindertenrechtskonvention" auf Familienratgeber.de
Deutsches Institut für Menschenrechte – Staatenberichtsprüfung 2015
Mehr Informationen zum UN Fachausschuss und zahlreiche Dokumente zur 13. Session: http://www.ohchr.org/EN/HRBodies/CRPD/Pages/CRPDIndex.aspx
(Ulrich Steilen)