Mein Besuch in einer Wohngruppe von Menschen mit Lernschwierigkeiten
Ich stehe im Flur der Wohngruppe Lerchen und bin gespannt darauf, wie die Bewohner auf meinen Besuch reagieren werden: Fühlen sie sich von mir bedrängt? Wie soll ich auf sie zugehen? Jetzt habe ich gar keine Zeit mehr, mir Gedanken zu machen. Denn da stellt sich mir schon die erste Bewohnerin vor, "Heike", innerhalb der Wohngruppe duzen sich alle. Heike ist wie die anderen hier mittleren Alters. Sie zeigt mir sofort ihr Zimmer. Dann hebt sie ihren Stoffaffen vom Bett auf und sagt: "Den habe ich mir im Zoo gekauft." Eine andere Bewohnerin hat uns begleitet. Sie nimmt mich bei der Hand und führt mich schweigend zu ihrem Zimmer. Wie schnell die Bewohner mich hier aufnehmen, ist beeindruckend. Im nächsten Raum werde ich ans Bett gewinkt, ich reiche dem Mann meine Hand, dann stößt er mich weg. Im ersten Moment etwas irritierend, doch die Mitarbeiterin erklärt: "Er freut sich, Sie zu sehen - braucht dann aber wieder seine Ruhe." Als wir vor dem letzten Zimmer stehen, hört man laute Musik. Das ist Jan, der mir begeistert auf seinem Keyboard vorspielt.
Betreute Wohngruppen mit einer familienähnlichen Struktur
Als Schülerpraktikantin der Aktion Mensch habe ich die Diakonie Michaelshoven in Köln besucht, die mein derzeitiger Arbeitgeber mit insgesamt 1,6 Millionen Euro gefördert hat. Die Diakonie Michaelshoven unterstützt Menschen mit Lernschwierigkeiten. Sie leben in betreuten Wohngruppen. Diese haben eine familienähnliche Struktur: Jeder Bewohner hat sein individuell eingerichtetes Zimmer. Gegessen wird gemeinsam, das Wohnzimmer und die Küche werden geteilt. "Die Bewohner sollen sich wohlfühlen und die Wohngruppe als ihr Zuhause ansehen", sagt Katrin, die seit dem Jahr 2000 in der Verwaltung der Einrichtung arbeitet.
Arbeit angepasst an die Fähigkeiten der Bewohner
Der Alltag in der Wohngruppe beginnt um 6:45 Uhr. Nach dem Frühstück werden die Bewohner zur Arbeit in die Werkstatt oder zur heilpädagogischen Tagesstätte gefahren. Die Arbeit ist angepasst an die Fähigkeiten der jeweiligen Bewohner. In der heilpädagogischen Tagesstätte übernehmen die Bewohner, die nicht in einer Werkstatt arbeiten können, kreative Aufgaben wie Kerzen ziehen oder Karten bedrucken. "Das ist wichtig, damit die Bewohner sich an feste Strukturen im Alltag gewöhnen", sagt Katrin. Gegen 16 Uhr kommen die Bewohner wieder nach Hause. Dann haben sie Freizeit oder es werden die Aufgaben erledigt, die im Haushalt anfallen. Anhand eines Haushaltsplans weiß jeder, was er zu tun hat. "Wer fitter ist, macht eben mehr", sagt die Mitarbeiterin Ursula. Dann zeigt mir eine Bewohnerin, wie man "Spazieren gehen" ohne Worte ausdrückt. Sie ist Autistin und sprachbehindert. Deshalb nutzt sie Hilfen, um sich im Alltag auszudrücken.
Lebensfreude der Bewohner ist beeindruckend
Nach dem Besuch ziehe ich mein persönliches Fazit: Durch die Begegnung mit den Menschen mit Lernschwierigkeiten in der Wohngruppe Lerchen kann ich mir gut vorstellen, mich ehrenamtlich zu engagieren. Spazieren zu gehen oder einen Ausflug zu begleiten, macht mit Sicherheit Spaß. Ich hoffe, dass noch mehr junge Menschen wie ich ihre Berührungsängste auf diese Weise abbauen. Denn die Lebensfreude der Bewohner ist beeindruckend. Besonders viel konnte ich von Heikes Antwort auf die Frage, was sie sich für die Zukunft wünscht: "Was soll ich mir wünschen? Ich bin doch glücklich! Nur eine Schaukel in unserem Garten wäre noch schön!"
Linktipps:
Alle Infos über ehrenamtliches Engagement und der Engagement-O-Mat der Aktion Mensch für das passende Projekt auch in Ihrer Nähe
Ehrenamtliches Engagement bei der Diakonie Michaelshoven in Köln
Berührungsängste abbauen. Ein Blogbeitrag von Carina Kühne über Probleme im Umgang mit Menschen mit Behinderung
Wenn ich feiern gehe ... Ein Blogbeitrag von Luisa Eichler über Berührungsängste von Jugendlichen gegenüber Rollstuhlfahrern
(Autor: Dana Buchholz)