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Selbstbestimmung in Arbeit?!

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Bundesministerin Andrea Nahles besucht den Büro-Arbeitsplatz einer blinden Mitarbeiterin bei der Fraport AG

Eine Tagung in Bielefeld beleuchtete theoretische und praktische Aspekte der Inklusion auf dem Arbeitsmarkt. Ergebnis: Da geht noch was bei der Beschäftigung von Menschen mit Behinderung.

Auch wenn sich der Arbeitsmarkt in Deutschland insgesamt in einem Aufschwung befindet und die Arbeitslosigkeit im Jahr 2013 von rund 3,1 auf 2,8 Millionen Menschen absank: Für Menschen mit Behinderung gilt diese positive Entwicklung leider nicht: Laut Bundesagentur für Arbeit (BA) ist die Arbeitslosenquote von Menschen mit Schwerbehinderung mit 14 Prozent fast doppelt so hoch wie bei Menschen ohne Behinderung. Und das, obwohl die Wirtschaft - insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels - davon profitieren kann, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen.
Einige Unternehmen haben das erkannt und wissen, dass es - stellt man die entsprechenden Rahmenbedingungen wie Barrierefreiheit und gegebenenfalls Arbeitsassistenz her - keine Leistungsunterschiede zwischen Angestellten mit und ohne Behinderung gibt. Reinhard Wagner (Stellvertretender Vorstand des UnternehmensForums & Leiter Betriebliches Eingliederungsmanagement der Fraport AG) sprach auf der Tagung "Selbstbestimmung in Arbeit?! 5 Jahre UN-Behindertenrechtskonvention" der Andreas-Mohn-Stiftung im Februar 2014 zum Thema "Das Potenzial von Unternehmensnetzwerken als Voraussetzung und Unterstützung von Inklusion" und beantwortete im Nachhinein die Frage, was in Sachen "Selbstbestimmung in Arbeit" schon alles erreicht werden konnte.
 
Herr Wagner, in den Unternehmen ist ein zunehmender Fachkräftemangel zu verzeichnen. Inwieweit wird bei Fraport in der Beschäftigung von Menschen mit Behinderung ein wichtiges Potenzial gesehen? Welche Haltungen dazu gibt es im Unternehmen?

Reinhard Wagner: Fraport als sozialer Arbeitgeber in der Region Rhein-Main hat eine lange Tradition in der Beschäftigung von Menschen mit einer Behinderung, egal, ob im Berufsleben erworben oder bereits mit Behinderung eingestellt. Dies wurde bereits zu Zeiten so gehandhabt, als der gegenwärtig sich abzeichnende Fachkräftemangel noch kein Thema war. Dies drückt sich auch in unserer Integrationsvereinbarung aus, welche bereits über 10 Jahre besteht. Bei Fraport wird versucht, so lange wie möglich die Menschen auf ihrer ursprünglichen Stelle zu beschäftigen, erst wenn dies auf Grund einer Erkrankung oder Behinderung auch unter Ausnutzung technischer oder organisatorischer Maßnahmen dauerhaft nicht mehr möglich ist, wird ein passender Ersatzarbeitsplatz im Unternehmen gesucht. Dies natürlich unter Einbeziehung des Mitarbeiters, aber auch unserer Arbeitsmedizin, des Betriebsrates und der Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen. Wir betreiben auch gezielt Aufklärungsarbeit über die Ausbildungsmöglichkeiten für junge Menschen mit Behinderung an den Förderschulen im Rhein-Main-Gebiet und bei gemeinsamen Veranstaltungen mit dem Sozialverband VdK. Gemeinsam mit dem UnternehmensForum e. V. veranstalten wir im Mai eine Fachtagung zum Thema 'Beschäftigung von Menschen mit Autismus'.
Dies alles geschieht in erster Linie aus unserer sozialen Verantwortung heraus, aber auch weil wir überzeugt sind, dass Menschen mit Behinderung einen ebenso wertvollen Beitrag zur Wertschöpfung in unserem Unternehmen erbringen, wenn sie entsprechend ihrer individuellen Fähigkeiten und Kompetenzen eingesetzt werden. Genauso wichtig ist uns aber auch, durch präventive Maßnahmen und Angebote, z. B. im Rahmen des Gesundheitsmanagements, die Beschäftigungsfähigkeit unserer Mitarbeiter zu erhalten und möglichen Erkrankungen oder Behinderung vorzubeugen.

Wertvoller Beitrag von Menschen mit Behinderung zum Unternehmen

Inwieweit ist bei Fraport die Einstellung von Menschen mit Behinderung realisiert? Können Sie uns ein paar konkrete Zahlen nennen?

Die gemeldeten Zahlen an die Agentur für Arbeit zur Beschäftigungspflicht gemäß § 80 Abs. 2 SGB IX für das Anzeigejahr 2013 sehen folgendermaßen aus: Die jahresdurchschnittliche Beschäftigtenzahl liegt bei 11.676, die jahresdurchschnittlich besetzten Pflichtarbeitsplätze bei 1.303, die Beschäftigungsquote bei 11,16 %. Insgesamt sind ca. 2.200 Menschen mit einer anerkannten Behinderung oder Schwerbehinderung bei Fraport beschäftigt, davon etwa 39 % mit einer Erkrankung des Bewegungsapparates, 26 % mit einer Erkrankung der inneren Organe und 13 % mit einer psychischen Erkrankung. Die Verteilung der betroffenen Mitarbeiter auf die Bereiche und Abteilungen entspricht im Wesentlichen auch der Verteilung der Gesamtbeschäftigten auf die verschiedenen Bereiche.

Welche Unterstützungsangebote gibt es im Unternehmen für Menschen mit Behinderung?

Fraport bietet Unterstützung im Bereich der persönlichen Beratung, der gesundheitlichen Prävention, der Rehabilitation bis hin zu Umschulungen und beruflichen Neuorientierung in Einzelfällen. Des Weiteren werden in Zusammenarbeit mit den zuständigen Fachbehörden Arbeitsplatzhilfen und -anpassungen, Arbeitsassistenzen und Teilzeitmodelle je nach Einzelfall angeboten. Dies kann auch bis zur Unterstützung in den privaten Bereich, z. B. Finanzhilfen für Wohnungsanpassungen über den Unterstützungsverein der Fraport, führen.

Unterstützung und Beratung für Mitarbeiter mit Behinderung

Welche Schwierigkeiten treten trotz allem auf?

Schwierig wird es besonders dann, wenn insbesondere die Betroffenen selbst ihre Lage falsch einschätzen oder ihre Erkrankung nicht wahrhaben wollen. Aber auch das gegliederte System der Reha-Träger mit ihren unterschiedlichen Zuständigkeiten und Antragswege macht es selbst uns, die wir tagtäglich damit zu tun haben, nicht gerade einfach, schnelle Hilfe zu organisieren. Dies gelingt nur, indem wir oftmals in Vorlage treten und die finanziellen Hilfen dann im Nachgang mit den Leistungsträgern regeln.

Inwieweit dienen Unternehmensnetzwerke wie das UnternehmensForum, ein bundesweiter und branchenübergreifender Zusammenschluss von Konzernen und mittelständischen Firmen, als Voraussetzung und Unterstützung von Inklusion?

Netzwerke wie das UnternehmensForum sind keine Voraussetzung von Inklusion, aber der Austausch von Erfahrungen und Lösungen untereinander unterstützt das Thema erheblich. Gerade kleine und mittelständische Unternehmen, welche über weniger Erfahrung im Umgang mit und der Beschäftigung von Menschen mit Behinderung verfügen, können über Netzwerke erleben, was alles machbar ist. Auch der gemeinsame Auftritt von Netzwerken gegenüber der Politik oder den Rehaträgern erfährt mehr Aufmerksamkeit als individuelle Ansprachen und fördert somit die inklusive Beschäftigung.

Herr Wagner, ich bedanke mich für das Gespräch und wünsche Ihnen viel Erfolg bei dem, was Sie in Hinblick auf die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung in Ihrem Unternehmen noch alles vorhaben.


Das Gespräch führte Margit Glasow


Linktipps:
Die bundesweite Tagung "Selbstbestimmung in Arbeit?!" der Andreas-Mohn-Stiftung aus Anlass des Inkrafttretens der UN-Behindertenrechtskonvention vor fünf Jahren in Deutschland
Das Inklusionsbarometer der Aktion Mensch zum Thema Arbeit von Menschen mit Behinderung (PDF-Datei)
Das Handlungsfeld "Am Arbeitsplatz" der Aktion Mensch
Die Unternehmenskultur gewinnt. Ein Blogbeitrag über die Flughafen München GmbH, die wegen innovativer Konzepte für Mitarbeiter mit Behinderung mit dem Inklusionspreis ausgezeichnet wurde
Jemand, der sich kümmert ... Ein Blogbeitrag von Eva Keller über eine Fachtagung zur Inklusion in Ausbildung und Arbeit
Potenziale nutzen - mit Aktionsplänen. Ein Interview im Blog von Stefanie Wulff mit Rainer Wallbruch über Aktionspläne von Unternehmen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention

(Autor: Margit Glasow)


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