Interview mit Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS), über Begeisterung für die Paralympics, Bedeutung des Breitensports und Inklusion im Sport.
Michael Wahl: Herr Beucher, Sport spielt in der heutigen Gesellschaft eine wichtige Rolle. Auch der Behindertensport wird immer populärer: Sotschi und Rio sind die beiden Happenings der nächsten Jahre. Was erwarten Sie von diesen Events? Sehen Sie noch weitere Highlights?
Friedhelm Julius Beucher: Die zunehmende Bewunderung und Begeisterung für den Behindertensport hat einen Grund: Bei den Paralympics werden von unseren Athletinnen und Athleten sensationelle Leistungen geboten, die teilweise akrobatisch sind und auch ästhetische Komponenten haben. Das Fernsehen hat das wachsende Interesse erkannt und sendet auch unsere Wettbewerbe in alle Welt. Die meisten Zuschauer staunen nicht nur über die Höchstleitungen, sondern bekommen auch ein Gefühl dafür, was Menschen mit Behinderung zu leisten imstande sind. Das gilt nicht nur für die Paralympics, sondern auch für alle anderen Wettkämpfe wie Welt-, Europa- und Deutsche Meisterschaften. Bald werden wir auch davon mehr zu sehen bekommen. Und dabei lernen, dass Menschen mit und ohne Behinderung gleichwertige Talente haben.
Der Behindertensport wird auch immer wieder wegen seiner inklusiven Wirkung hervorgehoben - zuletzt von Verena Bentele, der neuen Behindertenbeauftragten des Bundes. Wie genau wirkt der Behindertensport inklusiv, und gibt es vielleicht noch verborgene inklusive Potenziale, die uns in den nächsten Jahren überraschen könnten?
Je mehr ins Bewusstsein vordringt, was ich gerade sagte, nämlich dass Behinderte und Nichtbehinderte überall im Alltag gleich behandelt werden, desto mehr wird Inklusion zum Normalfall. Das geht langsam voran und nicht rasch genug. Aber allmählich wird der Begriff Inklusion erkannt und begriffen. Dazu hat die erfreuliche Ernennung einer unserer Spitzensportlerinnen, Verena Bentele, beigetragen. An ihr werden wir erleben, dass sie alles kann, was in diesem Amt erforderlich ist. Sie ist eben eine Langläuferin. Damit will ich sagen, dass der Behindertensport die beste Voraussetzung schafft, das praktische Leben zu meistern.
Behindertensport ist Teil unserer Lebensvielfalt
Neben dem Leistungssport spielt auch der Breitensport eine entscheidende Rolle für die Inklusion. Welche Aktivitäten für die Förderung des Breitensportes vor Ort in den Kommunen existieren bereits und welche sind geplant?
Sie haben ganz Recht: Bedeutender als der Spitzensport ist unser Breitensport. Er spielt sich oft im Verborgenen ab, und darum sind wir ständig damit beschäftigt, ihn in den Blickpunkt zu rücken. In der Kommunalpolitik wird an immer mehr Orten und immer öfter erkannt, dass Behindertensport kein Nothilfeprogramm für Randgruppen ist, sondern Teil unserer Lebensvielfalt. Allerdings müssen wir dauerhaft Einfluss nehmen, Forderungen stellen und Druck machen.
Sport von Menschen mit Behinderungen ist immer wieder faszinierend und vielfältig: Menschen im Rollstuhl spielen Rugby, Blinde spielen Fußball. Welche neuen Sportarten sehen Sie für Menschen mit Behinderungen in der Zukunft, und haben Sie eine Lieblingssportart?
Weil ich selbst begeisterter Skifahrer bin, kann ich besonders gut nachempfinden, was Menschen mit Handicaps im Skisport schaffen. Aber auch andere Sportarten wie Blindenfußball oder Rollstuhlbasketball faszinieren mich. Mit dem fortschreitenden Trend zu Fun-Sportarten werden diese auch für behinderte Menschen attraktiv.
Die Demografie macht natürlich auch vor dem Sport nicht Halt, und so gibt es auch immer mehr ältere Menschen mit Behinderungen. Welche sportlichen Angebote gibt es für ältere Menschen mit Behinderungen? Und welche Rolle spielt der Reha-Sport auch bei jüngeren Menschen mit Behinderungen?
Da sprechen Sie etwas an, was bei uns mehr und mehr in den Blickpunkt rückt. Auch Menschen, die sich beispielsweise nach Unfällen oder nach Operationen wieder fit machen wollen, und Frauen und Männer, die von Behinderungen bedroht sind, finden in unseren Vereinen reichlich Angebote. Und immer mehr ältere Menschen, die sich behindert fühlen, weil sie eben nicht mehr so leistungsfähig sind wie früher, schließen sich uns an. Für die Jüngeren haben wir die Deutsche Behindertensportjugend (DBJS), die deren besondere Interessen berücksichtigt.
Sportliche Leistungen von Menschen mit Behinderungen vergleichbar machen
Inklusion sollte, wann immer es möglich ist, auch umgekehrt funktionieren - der Sport ist da eine wunderbare Möglichkeit. Können Sie unseren Lesern Behindertensportangebote nennen, bei denen Menschen ohne Einschränkungen teilhaben können?
Ich nenne beispielhaft nur zwei: Beim Basketball können Menschen mit ohne Behinderung wunderbar zusammenspielen. Und haben Sie schon einmal den gemischten Tänzern und Tänzerinnen zugeschaut? Das ist pure Lebensfreude.
Aktuell durch den Fall des Weitspringers Matthias Rehm ist die Diskussion neu entbrannt, wo die Grenzen von Sportlern mit Behinderung liegen, wenn es darum geht, an Wettkämpfen von Athleten ohne Einschränkung teilzunehmen. Es scheint so, als gäbe es allgemein eine große Verunsicherung und wenig Klarheit in dieser Frage. Wie stehen Sie zu diesem Fall und den aktuellen Auseinandersetzungen mit dem Deutschen Leichtathletik-Verband?
Matthias Rehm wird der erste Mensch sein, der mit einer Prothese über acht Meter weitspringen wird. Er könnte ohne Weiteres gegen nichtbehinderte Weitspringer antreten. Aber es gibt eine Menge zu klären, bis es soweit ist. Ich sage Ihnen nur eins: Es ist kein Vorteil, wenn jemand mit einem künstlichen Bein laufen oder springen muss! Das ist und bleibt immer ein schwerer körperlicher Nachteil. Wir werden ein Regelwerk finden, wie sich sportliche Leistungen von Menschen mit unterschiedlichen Graden von Behinderungen vergleichbar machen lassen. Auch dafür gilt, was wir am Anfang besprochen haben: Wir alle müssen lernen, nicht die Unterschiede, sondern die Gemeinsamkeiten zu sehen.
Herzlichen Dank für Ihre Antworten und alles Gute für eine sportliche Zukunft.
Das Interview führte Michael Wahl am 17.02.2014
Linktipps:
Der Deutsche Behindertensportverband
Selbstbewusstsein durch Sport. Ein Blogbeitrag von Michael Herold über seine ganz eigenen Erfahrungen mit dem Thema Sport
"Mein Weg nach Olympia". Ein Blogbeitrag von Ulrich Steilen über Nico von Glasows Film, der Sportlerinnen und Sportler auf ihrem Weg zu den Paralympics begleitet
Klischees wett kämpfen. Ein Blogbeitrag von Raúl Krauthausen über das gesteigerte mediale Interesse an den Paralympics und Klischees in der Berichterstattung
(Autor: Michael Wahl)