Marie Gronwald auf Wohnungssuche mit dem Rollstuhl
Ich lebe in meiner eigenen Wohnung, habe Assistenz und kümmere mich selbst um meine Belange und um den Haushalt. Natürlich mit der Unterstützung von Assistenten. Für mich war es bei der Wohnungssuche wichtig, zu entscheiden und zu wissen, dass ich alleine und selbstständig leben möchte. Eine Freundin meiner Mutter schlug mir vor, ich solle doch mit ihrer Tochter in eine betreute Wohngemeinschaft einziehen und zusammen mit anderen leben. Betreut werden wollte ich aber nicht. Ich brauche keine Betreuung. Ich brauche Assistenz. Die Vorstellung, in einer betreuten Wohngemeinschaft zu leben, ließ in mir das Gefühl von Seniorenheimatmosphäre aufkommen: Beschäftigungstherapie, regelmäßig essen, regelmäßige Toilettengänge, Physiotherapie und um acht Uhr ins Bett ... Wenig Platz für eigene Pläne und Ideen! Es klingt vielleicht überheblich, aber ich finde es schade - zumindest was man so hört -, dass in Einrichtungen kaum Raum für Individualität und Persönlichkeit zu sein scheint. So eine Wohnform kam für mich nicht in Frage. Also: Los ging die Suche auf dem freien Berliner Wohnungsmarkt.
Das Internet kennt keine rollstuhlgerechten Wohnungen
Internetsuchprogramme sind nichts für Rollstuhlfahrer. Ich suchte in Berlin. Zweizimmerwohnung wegen der Assistenz, bevorzugt mit Fahrstuhl oder im Erdgeschoss. Und zwar in den Bezirken Schöneberg, Steglitz, Wilmersdorf, Kreuzberg und Neukölln. Erstmal "spuckte" mir das Suchprogramm Hunderte von Anzeigen aus. In zwei oder drei Suchmasken konnte ich dann "barrierefrei" angeben. Schlagartig verringerte sich die Trefferquote, und es gab Tage, da sank sie sogar auf "Null". Oftmals gab es keine Angabe zur Barrierefreiheit oder die Wohnung wurde als rollstuhlgeeignet, aber nicht als rollstuhlgerecht oder barrierefrei beschrieben. Diesen Unterschied würde ich schnell kennenlernen. Ich musste einsehen, dass das Internet keine gute Möglichkeit ist, eine geeignete Wohnung für mich und meinen Rollstuhl zu finden.
Ein Fahrstuhl mit Treppe und einmal steckenbleiben, bitte
Mein nächster Plan: Wenn mich das Internet im Stich ließ, dann eben über das gute alte Telefon und das sogenannte "Klinkenputzen". Ich rief also bei den Hausverwaltungen persönlich an und fragte nach rollstuhlgerechten, beziehungsweise barrierefreien Wohnungen. Bei dem Stichwort "barrierefrei" hörte ich nur Absagen oder Schweigen. Bei dem Wort "rollstuhlgerecht" sah es schon anders aus. Ich vereinbarte drei Besichtigungstermine. In der ersten Wohnung musste ich mühsam durch einen Hintereingang mit einer Extra-Tür geführt werden. Die Zweiraumwohnung war niedrig, aber hatte schöne Zimmer. Als mich meine Assistentin in den Flur schob und wir um die Ecke in das andere Zimmer biegen wollten, ging es nicht weiter. Wir waren stecken geblieben. Erst mit der Hilfe des Maklers konnten wir uns befreien. Kein geeignetes neues Zuhause also für mich und meinen Rollstuhl. Die zweite Zweiraumwohnung war gar keine Zweiraumwohnung, sehr dunkel und mit Kellerbeleuchtung. Die Türen waren dunkelgrün gestrichen und darauf noch Zahlen zu erkennen. Auf mein fragendes Gesicht hin, erklärte mir der Makler, es handele sich um ein umgebautes Seniorenheim und den Raum könne man durch einen Vorhang ganz leicht in zwei Räume verwandeln. In der dritten "rollstuhlfreundlichen" Wohnung konnte ich eigentlich nur den Hausflur besichtigen. Mir wurde am Telefon versichert, dass es sich um eine "rollstuhlfreundliche Wohnung mit Fahrstuhl" handele. Vor Ort musste ich leider feststellen, dass es zu der Wohnung im zweiten Stock zwar einen Fahrstuhl gab, ich aber um die Wohnung und den Fahrstuhl erreichen zu können, eine Treppe mit vier Stufen im Weg hatte.
Ein wesentlicher Grund für meinen Umzugsplan war, dass es in meiner alten Wohnung im Hochparterre eine kleine Treppe gab, die ich nur mit Hilfe eines für mich schrecklichen Treppensteiggerätes erreichen konnte. Also war diese Wohnung keine wirkliche Verbesserung meiner Situation.
Mein neues Zuhause
Ich weiß heute, dass ich wirklich, wirklich viel Glück hatte mit der Wohnungssuche. Ich glaube, ich habe insgesamt drei bis vier Monate ernsthaft gesucht. Mir ist bewusst, dass es in einer Stadt wie Berlin und noch dazu mit meinen Mitbewohnern, dem Rollstuhl und den Assistenten, wirklich schwierig ist. Aber wie so oft im Leben hatte ich Glück! Mein dritter Anruf bei einer Hausverwaltung: Ich erklärte meine Situation und gab aus Erfahrung auch gleich die Maße meines Rollstuhls mit an. Einen Tag später hatte ich eine Besichtigung in Wilmersdorf. Der Makler befürchtete, mein Rollstuhl könnte im Fahrtstuhl stecken bleiben. Aber weder ich noch der Rollstuhl oder der Assistent klemmten fest, und als ich die Wohnung betrat, hatte ich sofort das Gefühl: "Das ist meine neue Wohnung, und hier fühle ich mich zuhause." Diese Überzeugungskraft musste ich wohl auch beim zuständigen Bezirksamt ausgestrahlt haben, denn ein paar Tage später erhielt ich die schriftliche Zusage der Kostenübernahme der Wohnungsmiete und konnte den Vertrag unterschreiben und die Schlüssel entgegen nehmen. Mir ist klar, soviel Glück ist nicht selbstverständlich. Jetzt gerade bin ich wieder auf der Suche, diesmal keine Wohnung, sondern ein Job, und wer weiß, vielleicht finde ich ja den richtigen. Genauso plötzlich und leicht wie meine wunderbare Wohnung.
Linktipps:
Das Handlungsfeld "Inklusion leben: Zuhause" der Aktion Mensch
"Gemeinsam wohnen": Die Broschüre zum neuen Förderprogramm der Aktion Mensch, das den Menschen mit Behinderung in den Mittelpunkt stellt (PDF-Dokument)
Barrierefreies Wohnen mit Hindernissen. Ein Blogbeitrag von Wiebke Schönherr über Barrieren bei der Wohnungssuche
Aber bitte mit Fahrstuhl! Ein Blogbeitrag von Katja Hanke über gelebte Inklusion in einer Berliner Wohngemeinschaft
Wohnungssuche in Berlin. Ein Blogbeitrag von Wiebke Schönherr über die Suche eines jungen Mannes mit Lernschwierigkeiten nach einer neuen Bleibe
(Autor: Marie Gronwald)