Die Stichworte "Olympiade" und "Paralympics" sind bereits bekannt, aber "Deaflympics" wohl kaum, obwohl es die Spiele seit 1924 gibt. Nun eine Nachlese von den 22. Deaflympics in Sofia, Bulgarien 2013. Das "International Committee of Sport for the Deaf" (ICSD) ist Träger der Deaflympics unter Aufsicht des Internationalen Olympischen Komitees (IOC).
Das Hören
Man kann die Deaflympics auch die olympischen Spiele für Menschen mit Hörbeeinträchtigungen nennen. Zuerst hießen sie "Silent World Games for the Deaf", später Gehörlosen-Weltspiele und jetzt Deaflympics. Es gibt sie als Sommer- und Winterspiele, die alle vier Jahre stattfinden. Zugelassen sind SportlerInnen mit einem Hörverlust von 55dB auf dem besseren Ohr. Beim allgemeinen Sport gibt es Megaphone, Startschuss mit Waffe oder das Pfeifen der SchiedsrichterIn. Alternativ dazu werden bei den Deaflympics Fahnen, Winken, Blickkontakte, Lichtsignalanlagen und Gebärdensprachzeichen eingesetzt. Bei manchen Sportarten ist es von Vorteil zu hören, um beispielsweise gegenüber den KonkurrentInnen den Vorsprung zu halten oder die Schlagtechnik eines Schlägers oder die Lauftechnik zu hören sowie stabile Gleichgewichtsorgane zu haben. Es können zwar Taube und Schwerhörige mit Hörgeräten oder Cochlea-Implantat (CI) teilnehmen, allerdings ist bei den Wettkämpfen das Tragen von Hörgeräten einschließlich CI nicht zugelassen, um keine Vorteile zu schaffen.
Das Gemeinschaftsgefühl
Bei den Deaflympics gibt es ein besonders starkes Gemeinschaftsgefühl unter den GebärdensprachlerInnen. Auch wenn sie sich noch nicht kennen, gibt es schon vom ersten Moment an eine Verbindung untereinander und eine starke Identifikation. Das liegt vor allem an der ähnlichen Sozialisationserfahrung durch die gemeinsame Sprache, die Gebärdensprache. Die Menschen, die die Gebärdensprachgemeinschaft nicht kennen, können das schwer nachvollziehen.
Deaflympics contra Paralympics
Die meisten werden sich fragen, warum die Deaflympics nicht bei den Paralympics integriert sind. Im Vergleich zu den Deaflympics sind die Paralympics mittlerweile gut in den Medien vertreten und werden stärker gefördert. Die SportlerInnen erhalten viel höhere Prämien und haben hierdurch die Möglichkeit, sich intensiver auf das Event vorzubereiten und mehr Zeit dafür zu investieren. Theoretisch können taube SportlerInnen auch an den Olympischen Spielen teilnehmen. Es gab auch schon eine Reihe tauber SportlerInnen, die das taten: Zuletzt gewann Terence Parkin aus Südafrika eine Silbermedaille beim Brustschwimmen in Sydney 2000. Die Hauptbarriere für die tauben und schwerhörigen OrganisatorInnen und SportlerInnen ist jedoch noch immer die Kommunikation mit hörenden Menschen. Dies gilt sowohl bei der Olympiade als auch beim Paralympics.
Mittlerweile gibt es Pro- und Contra-Diskussionen zu den Paralympics. Anlass der Diskussionen ist, dass es zuletzt Probleme gab, die Deaflympics durchzuführen. Bei den Winterspielen 2011 in der Slowakei gab es eine Woche vor Beginn der Spiele eine Absage an die SportlerInnen aus aller Welt, die vorab Zeit und Geld für diese Spiele investiert sowie viele Trainingseinheiten absolviert hatten. Grund der Absage war die Korruption eines Organisators, der 1,6 Millionen Euro unterschlagen hatte. Das war eine große Enttäuschung und ein Schock für alle. Auch die Sommerspiele 2013 standen kurz vor dem Aus, da Griechenland finanzielle Schwierigkeiten hat und die Spiele daher nicht - wie geplant - in Athen durchgeführt werden konnten. So erklärte sich der bulgarische Sportverband spontan dazu bereit, die Spiele zu übernehmen, da er bereits 1993 Erfahrungen mit den Deaflympics gemacht hatte. Die Zukunft der Deaflympics steht also immer wieder auf der Kippe. Aber es gibt Hoffnung: Der neugewählte ICSD-Präsident Valery Rukhledev aus Russland ist ein Befürworter der Deaflympics, da er selbst aus dem Deaf-Sport kommt und die historische und gegenwärtige Bedeutung dieser Spiele für GebärdensprachlerInnen und die Deaf Community kennt. Schließlich ist das größte Pro-Argument für die Deaflympics, dass die Gebärdensprachgemeinschaft für Sport so etwas wie die zweite Familie der tauben und schwerhörigen GebärdensprachlerInnen ist.
Sommerspiele in Sofia 2013
In Sofia traten SportlerInnen in insgesamt 19 Sportarten an: Leichtathletik, Badminton, Basketball, Beach Volleyball, Bowling, Fußball, Judo, Mountain Bike, Schießen, Tischtennis, Tennis, Ringen (Freistil und Griechisch-Römisch), Radrennen, Handball, Karate, Orientierung, Schwimmen, Taekwondo und Volleyball. Die Sportart Wasserball, bei der die deutsche Mannschaft zuvor immer erfolgreich war, wurde in diesem Jahr nicht mehr ausgetragen. In einigen Sportarten sind Deutsche nicht vertreten. Hierzu zählen Ringen, Basketball und Beach Volleyball.
Wie bei den meisten wichtigen Sport-Events gibt es auch bei den Deaflympics eine Eröffnungs- und eine Abschlussfeier, zu denen in diesem Jahr schätzungsweise 2.000 BesucherInnen kamen. Auch die Anzahl der teilnehmenden SportlerInnen war ein neuer Rekord: Es waren 2.900 SportlerInnen aus 90 Nationen dabei. Zum Vergleich: In Taipeh waren es zuletzt "nur" 2.500 SportlerInnen. Russland war in diesem Jahr mit 321 SportlerInnen am stärksten vertrefen - vor der Ukraine, der Türkei und Japan. Darauf folgte Deutschland an fünfter Stelle. Wahrscheinlich waren wir deutschen BesucherInnen die aktivste Fangruppe: Sie motivierten die deutschen SportlerInnen mit Fahnen, Kostümen, T-Shirts und Mützen. Dreimal Gold (alle durch Tennis), sechsmal Silber und fünfmal Bronze gab es für Deutschland. Die 137 SportlerInnen und der TrainerInnen- und BetreuerInnenstab aus Deutschland wurden fast ausschließlich von dem für Sport zuständigen Bundesministerium des Inneren gefördert. Wenn man an die Vorbereitungszeit denkt, die großen Kosten für Reise und Übernachtung sowie für Ausstattungen und Prämien, dann ist die Förderung des Ministeriums in Höhe von 500.000 Euro eher gering. Die SportlerInnen machen dennoch mit, weil ihr Herz für die Deaflympics schlägt und der Sport auf hohem Niveau ausgetragen wird. Das gilt auch für die deutschen und internationalen Fans. Jeden Abend besetzten bis zu 1.000 GebärdensprachlerInnen die Einkaufsstraße im Herzen von Sofia. In Bars und Cafés trafen sich taube Gäste aus aller Welt. SportlerInnen sah man dort aber kaum: Die Vorbereitungen auf die Wettkämpfe hatten Vorrang. Dafür trifft man sich auf internationalen Kongressen, Konferenzen, in den Gremien von Verbänden sowie bei Wettkämpfen von GebärdensprachlerInnen. Überall ist es das gleiche: Am Abend trifft man sich, egal ob man sich bereits kennt oder nicht. Alte Kontakte werden so erneuert, neue Kontakte werden geknüpft. Das ist eine gute Tradition innerhalb der Gehörlosenkultur.
Kommunikation mit internationalen Gästen
Für Unbekannte dieser Szene ist es interessant. Stellen Sie sich einmal vor, sie fahren in ein anderes Land und möchten mit Menschen kommunizieren, die eine andere Sprache sprechen. Wie machen Sie das? In Englisch? Ein bisschen Kauderwelsch? Hier hat die Gebärdensprachgemeinschaft einen klaren Vorteil: Alle kommunizieren sozusagen in einer "Sprache", den internationalen Gebärden. Es ist keine Gebärdensprache, weil jedes Land eine eigene Gebärdensprache hat, sondern sie wird aus einigen gebärdensprachlichen Elementen mit Gestik zusammengesetzt. So wird untereinander kommuniziert. Das ist der Vorteil der Gebärdensprache, das macht sie einzigartig und besonders.
Die Zukunft der Spiele
Die nächsten Winterspiele sollen 2015 in Russland ausgetragen werden. Die Sommer-Deaflympics finden 2017 in Ankara/Türkei statt. Schon jetzt wird kräftig geworben. Da die Spiele in Sofia 2013 "Notfall"-Spiele waren, betrug die Vorbereitungszeit nur rund zehn Monate - es konnte nur das Notwenigste organisiert werden, damit die Spiele überhaupt stattfinden konnten. In Ankara 2017 wird das hoffentlich wieder anders sein - sofern es im Vorfeld nicht wieder eine neue Krise gibt. Wie in Taipeh 2009 sind großartige Wettbewerbe geplant und es wird einen tollen Shuttle-Service geben, der die Sportstätten miteinander verbindet. Auch Shows soll es geben - diesmal aber mit Leinwandeinblendungen, durch die alle ZuschauerInnen die Gebärdensprach-DolmetscherInnen sehen können. Sofia 2013 war trotz widriger Bedingungen hervorragend und wichtig: Die Deaflympics leben dadurch weiter - und das mit immer größter werdenden TeilnehmerInnenzahlen.
Internetlinks:
Eine gute Übersicht zum Thema insgesamt gibt es auf Wikipedia.
(Autor: Katja Fischer)