Gesetz zur Sozialen Teilhabe muss kommen!
Wer es ernst mit einer Sache meint, sollte nicht nur darüber reden. Er sollte Taten folgen lassen. Und wer es ernst meint mit der Inklusion, der sollte meines Erachtens Bedingungen schaffen, die jedem Einzelnen eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft garantieren. Denn genau darum geht es bei der Inklusion. Geredet - da sind wir uns sicherlich alle einig - wird genug über dieses Thema. Aber wie sieht es mit den Taten aus? Kann wirklich jeder Mensch gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben?
Ein Beispiel für viele andere!
Viele werden in den vergangenen Wochen auf kobinet, in der Süddeutschen oder anderswo darüber gelesen haben: Ferdinand Schießl wurde von der Stadt München die Grundsicherung gekürzt, weil er angeblich ein Vermögen auf seinem Konto hatte. Zu den Fakten: Ferdinand Schießl lebt mit den Folgen einer schweren Poliomyelitis (Kinderlähmung) und organisiert seine 24-Stunden-Assistenz im Arbeitgebermodell. Das heißt, er wählt selbst seine Pfleger als Assistenten aus und stellt sie an. Das finanziert er über ein Persönliches Budget, das er von der Krankenkasse und vom Sozialamt der Stadt München erhält. Der Löwenanteil kommt dabei von der Krankenkasse, der Rest von der Stadt. Auf diese Weise kann der 56-Jährige relativ selbstbestimmt leben. Bisher.
Für den Lebensunterhalt wie Miete und Heizung benötigt Ferdinand Schießl darüber hinaus die Grundsicherung, wobei die Kommune genau darauf achtet, dass kein Vermögen angehäuft wird - denn laut Gesetz darf er nur 2600 Euro auf seinem Konto haben. Und genau daraus war nun sein Problem entstanden.
Die Krankenkasse ermöglicht ihm, zweckgebundene Rücklagen zu bilden, um Ausfälle wie Krankheit oder Urlaub aufzufangen, die er erst am Ende der Budget-Laufzeit aufgebraucht haben muss. Diese zweckgebundenen Rücklagen flossen nun auf sein Girokonto für das Persönliche Budget, über dessen Stand er die Stadt informieren musste. Ferdinand Schießl teilte also der Stadt mit, dass sein Kontostand durch die Rücklagen weit höher als 2600 Euro war. Das wurde vom Sozialamt sofort als Vermögen gedeutet. Als der Rollstuhlfahrer nun seinen neuen Antrag auf Grundsicherung bei der Stadt stellte, bekam er diesen nicht bewilligt.
Immer wieder Schieflagen
Erst als die Presse eingeschaltet wurde und auch der Oberbürgermeister und die Sozialreferentin aufmerksam wurden, lenkte die Stadt München ein. Die Zahlung ist inzwischen wieder aufgenommen worden. Doch Schießl merkt an: "Es kann immer wieder zu solchen Schieflagen kommen, solange Pflege und Assistenz von Menschen mit Schwerbehinderung nicht einkommens- und vermögensunabhängig gesetzlich geregelt sind. Das trifft ganz viele Menschen." Nämlich all diejenigen, die auf Pflege und Unterstützung angewiesen sind. Selbst jene, die voll berufstätig sind, werden ohne eigenes Verschulden daran gehindert, Vermögen zu bilden, sondern müssen ihre Pflege und Assistenz von ihrem erarbeiteten Geld bezahlen. Ist das gerecht?
Es gibt viele Beispiele von Benachteiligungen und Diskriminierungen
Nachzulesen sind einige davon auf der Seite www.teilhabegesetz.org. Nancy Poser zum Beispiel arbeitet als Richterin. Ihren Bedarf an Persönlicher Assistenz muss sie von ihrem Einkommen bezahlen, so dass sie für Autoreparaturen und Urlaubsreisen ihre Eltern anpumpen muss.
Schlagzeilen hat in den letzten Wochen auch immer wieder der 20-jährige Constantin Grosch gemacht. Auf, Facebook, Twitter und Co kann man nachlesen, dass die 16-Stunden-Begleitung des Jurastudenten zwischen 7000 und 8000 Euro im Monat kostet. Noch zahlt das Sozialamt, doch sobald er als Anwalt oder gar Richter arbeitet, würde nur die Begleitung während seiner Arbeitszeit vom Staat übernommen werden. Die Hilfe am Morgen, am Abend, in der Nacht, in der Freizeit, am Wochenende und im Urlaub müsste er selbst bezahlen. Tausende Euro wären das im Monat. Macht da eine Arbeit überhaupt Sinn? Er hat auf der Internetplattform www.change.org eine Petition gestartet, in der er das Recht auf Sparen und gleiches Einkommen für Behinderte fordert. Über 58.000 Unterschriften hat der junge Mann bereits gesammelt. Er will sich mit der zuständigen Ministerin, Ursula von der Leyen, treffen und sie auffordern, dass sie noch vor der Bundestagswahl ankündigt, dass sie dieses Problem im Rahmen eines 100-Tage-Programms nach der Wahl angehen wird.
Gesetzliche Regelungen sind längst überfällig
Das Forum behinderter Juristinnen und Juristen hat am 3. Mai 2013 einen Entwurf für ein Gesetz zur Sozialen Teilhabe vorgelegt. In diesem Gesetzentwurf schlagen die Juristinnen und Juristen, die alle selbst mit einer Behinderung leben, vor, dass Assistenz nicht nur bedarfsgerecht zu sein hat, sondern darüber hinaus unabhängig vom persönlichen Einkommen und den Vermögensverhältnissen zur Verfügung steht. Die Hilfen für behinderte Menschen sollen demzufolge aus der Sozialhilfe herausgelöst werden.
Teilhabe, Inklusion - von der alle reden - gibt es nicht zum Nulltarif. Das muss uns klar sein. Aber wie sieht es aus mit der Bereitschaft, Menschen mit Behinderung tatsächlich gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu lassen? Hört die Gleichberechtigung auf, wenn es ums Geld geht? Bleibt Inklusion nur ein schönes Wort? Wofür sind wir als Gesellschaft - als Wohlstandsgesellschaft - bereit zu zahlen? Wie können wir politische Entscheidungsträgerinnen und -träger überzeugen und dazu bewegen, diese notwendigen gesetzlichen Regelungen endlich zu verabschieden? Vor der Bundestagswahl scheint eine ernsthafte Beschäftigung mit dieser Frage wohl kaum stattzufinden. Umso wichtiger erscheint es mir, dass sich die Verbände der Selbsthilfe im Rahmen der Kampagne für ein Gesetz zur Sozialen Teilhabe gemeinsam in den Wahlkampf einmischen. Sie müssen den Handlungsbedarf für gesetzliche Regelungen für eine gleichberechtigte Teilhabe entsprechend der bereits seit dem 26. März 2009 in Deutschland gültigen Behindertenrechtskonvention deutlich machen.
Weitere Informationen:
Petra Strack: Arm ab - Arm dran
Persönliche Assistenz
Assistenz.org: Infos und Jobbörse zum Thema Persönliche Assistenz
Bundesarbeitsgemeinschaft für Unterstützte Beschäftigung e. V.: Infos zum Thema Arbeitsassistenz
ForseA: "Wege zur Assistenz - Ratgeber für behinderte ArbeitgeberInnen und solche, die es werden wollen" (PDF-Dokument)
(Autor: Margit Glasow)