Tanz und Ballett sind in erster Linie ein visuelles ästhetisches Erlebnis - sollte man meinen. Viele gehörlose und schwerhörige Menschen fühlen sich aber von dieser Form der Darstellenden Kunst ausgeschlossen, da dabei auch die Musik eine tragende Rolle spielt. Das Staatstheater Saarbrücken setzt dem in der laufenden Saison ein einzigartiges Konzept entgegen: Gebärdensprachdolmetscherin Isabelle Ridder führt gehörlose und hörbehinderte Zuschauer vor der Vorführung gemeinsam mit der Ballettdirektorin Marguerite Donlon in die Musik ein. Sie erläutert, um welche Emotionen es in den einzelnen Stücken geht, übersetzt, was die Ballettdirektorin sagt, und "verdolmetscht" die Klänge. Außerdem erhalten die Gäste ein Skript mit ausführlichen Beschreibungen der einzelnen Szenen. Einmal hat Isabelle Ridder auch bereits eine ganze Aufführung lang neben der Bühne gestanden und simultan übersetzt. Im Interview erklärt sie, wie das funktioniert.
Gebärdensprache für - wie sind Sie auf die Idee gekommen, so etwas zu entwickeln?
Das Saarländische Staatstheater und vor allem Ballettdirektorin Marguerite Donlon hatten den Wunsch, barrierefreie Aufführungen für gehörlose Besucher anzubieten, daher haben sie mich angesprochen. Das ist zumindest in Deutschland ein ganz neuer Ansatz. Gehörlose Menschen sehen ja die Bewegungen der Tänzer auf der Bühne. Die Frage war nun: Wie lassen sich die Töne dazu visualisieren? Wie verdolmetscht man Musik? Einzelne Lieder sind zwar schon in der Vergangenheit übersetzt worden, allerdings nicht fürs Ballett. Dieser Ansatz war vollkommen neu.
Wie haben Sie diese Fragen beantworten können?
Für eine Übersetzung bereite ich mich zunächst gut vor, indem ich mir das Stück mindestens zweimal ansehe. Dann beschaffe ich mir zusätzliche Informationen zum jeweiligen Musikstück, denn in Sachen Musik bin ich keine ausgewiesene Expertin. Beim Dolmetschen geht es dann vor allem um Bilder und Emotionen: Dabei spielt natürlich eine große Rolle, wie die Musik auf mich persönlich wirkt. Doch ich versuche, unbedingt darüber hinauszugehen, und überlege mir: Welche Emotionen würden an dieser Stelle wohl acht von zehn Menschen empfinden? Ich gebe aber auch Hinweise zu den Instrumenten, denn es gibt auch Zuschauer, die erst spät ertaubt sind oder ein Resthörvermögen haben und mit diesen Informationen etwas verbinden können. Ich erläutere den Rhythmus, die Höhen und Tiefen der Musik, die Lautstärke. Man muss sich das Dolmetschen vorstellen wie einen Fluss von Angeboten oder wie einen visuellen Klangteppich, der den Tanz begleitet.
Wie waren die Reaktionen beim hörenden und gehörlosen Publikum auf das Projekt?
Die Rückmeldungen waren sehr positiv. Für die meisten gehörlosen Gäste waren die Aufführungen der erste Kontakt zur hörenden Theaterwelt der Erwachsenen überhaupt. Viele waren sehr begeistert, nicht nur wegen der tänzerischen Aufführung und der Vor-Verdolmetschung der Musik, sondern auch, weil sie Vibrationen und Luftbewegungen spüren konnten, die von den Tänzern und den Instrumenten erzeugt wurden. Das war ein besonderes Erlebnis für sie. Das Saarländische Staatstheater hat nach der Aufführung, bei der ich die ganze Zeit neben der Bühne stand und dolmetschte, eine Befragung unter allen Zuschauern durchgeführt. Auch hier gab es sehr positive Rückmeldungen, die allermeisten begrüßten den Ansatz, gestört gefühlt hat sich durch mich offensichtlich niemand.
Welche persönlichen Erfahrungen konnten Sie in das Projekt einbringen?
Es war vorteilhaft, dass ich mich in der künstlerischen Branche schon vorher auskannte, denn ich habe selbst schon in einer integrativen Gruppe gemeinsam mit Gehörlosen und Hörenden Theater gespielt. Trotzdem musste ich mich erst mal in diese neue Form der Übersetzung hineindenken. Die Vorbereitung war recht aufwendig, aber ich bin auch mit viel Herzblut dabei. Das Thema Gebärdensprache begleitet mich aber auch sonst im Alltag: Ich bin Förderschullehrerin für hörbehinderte Kinder. Im Moment arbeite ich allerdings nicht mehr fest an meiner Förderschule, sondern ich begleite verschiedene Kinder, die in Regelschulen unterrichtet werden, nach einem inklusiven Ansatz.
Weitere Aufführungen mit einer Einführung durch die Gebärdensprachdolmetscherin Isabelle Ridder und Ballettdirektorin Marguerite Donlon bietet das Saarländische Staatstheater am 30. April ("Close up"), am 3. Mai ("Schwanensee - aufgetaucht") und am 30. Juni ("SubsTanz13: Chansons!") an.
Weitere Informationen:
Mehr Infos und Programmhinweise auf der Homepage des Theaters Saarbrücken
Das Handlungsfeld "Inklusion leben: In der Freizeit" der Aktion Mensch
Singen mit den Händen. Ein Blogbeitrag von Katja Hanke über eine Lernsoftware, die gehörlosen und schwerhörigen Kindern Lieder beibringt
Musik gesungen, getanzt und gebärdet! Ein Blogbeitrag von Eva Keller über die Band Breitenbach und ihr Musikvideo mit Gebärdensprachdolmetschern
Gebärdensprachpoesie, Kurzfilme, Tanz und Musik. Ein Blogbeitrag von Eva Keller über Eyk Kauly, Entertainer mit Hörschädigung, und seine Show für Hörende und Gehörlose
(Autor: Stefanie Wulff)