In Berlin-Neukölln hat Anfang Oktober eine interkulturelle Beratungsstelle der Lebenshilfe eröffnet. Dort wird Menschen mit Behinderung und ihren Angehörigen auf Türkisch und Arabisch geholfen. Ich habe den Leiter Jürgen Schwarz über das neue Projekt befragt.
Herr Schwarz, warum eröffnet die Lebenshilfe eine Beratungsstelle für türkisch- und arabischstämmige Menschen mit Behinderung?
Wir haben in den letzten Jahren festgestellt, dass behinderte Menschen mit Migrationshintergrund in den Hilfesystemen nur selten auftauchen. In einem Stadtteil wie Neukölln, wo der Bevölkerungsanteil von Menschen mit Migrationshintergrund bei fast 50 Prozent liegt, ist das schon auffällig. Deshalb wollten wir einen Anlaufpunkt schaffen, wo diese Menschen sich in ihrer Sprache über das Hilfesystem informieren können. Wir konzentrieren uns zunächst auf Menschen türkischer und arabischer Herkunft, um einen Fuß in die Tür zu bekommen. Später möchten wir auch in anderen Sprachen beraten. Denn auch wenn die Leute an sich gut Deutsch sprechen, haben viele z. B. mit den Formularen große Schwierigkeiten. Die sind ja für viele sehr schwer zu verstehen.
Wie können Sie diese Menschen unterstützen?
Es geht uns zunächst darum, die Angehörigen zu entlasten. Doch viele, zu denen wir schon Kontakt hatten, sagen, dass sie sich lieber selbst um die behinderten Angehörigen kümmern. Sie wollen nicht von Belastung sprechen und wünschen keine Einmischung von außen. Darüber zu sprechen, ist aber ein erster Schritt, um Hilfe zu erhalten.
Dazu kommen kulturelle Aspekte, die es nicht einfacher machen, untereinander zuzugeben, dass die Angehörigen nicht alles allein schaffen und Hilfe möchten. Denn möglicherweise kommt dann der Nachbar und sagt: "Das machen wir allein, wir brauchen dieses System nicht."
Viele Leute wissen auch gar nicht, was für ein wunderbares soziales Netz wir in der Behindertenhilfe gespannt haben. Da selbstverständlich auch diese Menschen ein Recht auf Teilhabe haben, gehen wir in die Familien, informieren und stellen sicher, dass sie dieses Recht in Anspruch nehmen können. Einige holen wir damit sogar aus der Isolation. Wenn die Familien gemerkt haben, dass wir uns nicht einmischen, sondern sie entlasten, geht das wunderbar.
Welche Aufgaben hat die Beratungsstelle genau?
In erster Linie natürlich zu beraten und Hilfsangebote aufzuzeigen. Aber es geht darüber hinaus: Wir helfen bei Übersetzungen, gehen mit auf Ämter oder vermitteln Pflegedienste. Zuerst ist es wichtig, Informationen zu verbreiten. Dazu arbeiten wir mit verschiedenen Netzwerken zusammen, die auf uns aufmerksam machen: das Bezirksamt, die Stadtteilmütter, das Türkisch-Deutsche Zentrum, die Deutsch-Arabische Unabhängige Gemeinde und auch Moscheen.
Welche Lösungen können Sie für eine bessere Inklusion anbieten?
Wenn wir von Teilhabe reden, ist das für uns auch schon die Möglichkeit, an Freizeitgruppen teilzunehmen und andere Menschen zu treffen. Wir werden auch selbst Gruppenangebote organisieren und mit den behinderten Menschen kochen, Filme gucken, Ausflüge machen und dergleichen. Wir müssen erst einmal schauen, welche Wünsche die Familien haben. Es hängt viel davon ab, wie unsere Mitarbeiter, zwei Frauen aus dem arabischen Sprachraum und ein türkischer Mann, in den Familien angenommen werden. Wir stehen ja noch am Anfang.
Kontakt:
Interkulturelle Beratungsstelle
Briesestraße 1
12053 Berlin
Öffnungszeiten:
Mo, Di und Do von 10-19 Uhr
Mi und Fr von 10-15 Uhr
Mehr zum Thema:
Doppelt ausgeschlossen: Migranten mit Behinderung. Ein Blogbeitrag von Stefanie Wulf über Migration und Behinderung in Deutschland
Mehr zum Thema Migration und Behinderung beim Familienratgeber
Erklärung zur interkulturellen Öffnung für und mit Menschen mit Behinderung und Migrationshintergrund der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (PDF-Dokument)
Infos über Migration und Behinderung beim Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen
Das Projekt "Migrant/-innen - barrierefrei zur Integration" vom Bundesverband Paritätisches Bildungswerk
(Autor: Katja Hanke)